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Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
Autoren: Michail Chodorkowski
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CHODORKOWSKI
    Anstelle eines Nachworts
    Liebe Natascha,
    ich kann schlecht beurteilen, inwieweit sich mein Weltbild verändert hat, weil ich nur sehr ungern wiederlese, was ich früher geschrieben habe. Ich schreibe jedes Mal so, wie ich es im gegenwärtigen, konkreten Augenblick empfinde. Ich schreibe viel mehr, als ich veröffentliche, und auch mehr, als ich in meinen persönlichen Briefen »ohne Publikationsrecht« darlege.
    Der Grund dafür ist klar: Ich kann es mir nicht leisten, dass man mich missversteht; und was noch wichtiger ist: Ich muss sicher sein, dass das, was ich schreibe, sich positiv oder zumindest neutral auf die Errichtung einer demokratischen Gesellschaft in Russland auswirken wird.
    Anders als ein professioneller Schriftsteller schreibe ich nicht, weil ich »nicht anders kann«, sondern, um die Situation so zu beeinflussen, wie ich es für notwendig halte. Texte sind dabei lediglich das Mittel der Einflussnahme, das mir gegenwärtig am ehesten zugänglich ist. Zudem gibt es einschränkende Faktoren. Um zu lügen oder unaufrichtig zu schreiben, muss man ein Meister des Wortes sein, ein Profi. Solche Fähigkeiten bringe ich nicht mit. Vom moralischen Aspekt will ich hier gar nicht reden. Ich schaffe es noch nicht einmal, einem wahrhaftigen Text eine emotionale Färbung zu geben, wenn ich die entsprechende Emotion nicht auch innerlich empfinde. Leider.
    Trotzdem habe ich in den vergangenen gut acht Jahren Gefängnis einigermaßen gelernt, das zu Papier zu bringen, was ich empfinde. Das funktioniert mal besser, mal schlechter, aber es funktioniert.
    Sie, Natascha, haben einmal sehr richtig angemerkt, dass die Staatsmacht viele der Ideen, die sich in meinen Beiträgen finden, bis in die jüngste Zeit de facto viel operativer und effizienter umgesetzt hat als die Opposition. Putins »Nationale Projekte« 207 stimmen vielfach sogar wörtlich mit meinen Vorschlägen überein. Damit will ich natürlich nicht sagen, dass meine Ideen direkt übernommen wurden, schon allein deshalb, weil ich auch selbst andere Quellen analysiere und daraus schöpfe. Es geht vielmehr um die Ähnlichkeit im Ansatz.
    Auf einem anderen Blatt steht, dass ein Regierungssystem, das von Anfang an nur dem Machterhalt diente, eine konsequente, umfassende Politik des Übergangs zu einer modernen postindustriellen Gesellschaft ausschließt. Genau deshalb entstehen auch keine Institutionen, sondern nur deren Simulakren.
    Aber die Entwicklung lässt sich nicht aufhalten. Russland verändert sich vor unseren Augen, egal, ob uns das gefällt oder nicht. Und deshalb veröffentliche ich nur das, was ich für nützlich halte, unabhängig davon, wer meine Überlegungen weiterverwendet. Inzwischen habe ich genügend Autorität, um die Stellung der Waagschalen erheblich zu beeinflussen und die Richtung einer öffentlichen Debatte vorzugeben oder zumindest zu korrigieren. Aber vielleicht finden Sie, dass ich für einen, der seit Jahren hinter Gittern sitzt, losgelöst vom Leben der Gesellschaft, zu selbstbewusst bin?
    Ich bin nicht gewohnt, mein Licht unter den Scheffel zu stellen. »Kämpfer« von meinem Format gibt es vielleicht ein paar Hundert im ganzen Land, und allenfalls ein paar Dutzend davon haben ähnlich viel Erfahrung. Unter ihnen wiederum gibt es nur einige wenige, die es sich leisten können, öffentlich und unverblümt Analysen anzustellen, zumal wenn sich daraus konkrete Schritte ergeben könnten. Alles liegt offen zutage. Alles ist allen klar. Ich habe es leichter, weil es für mich nur noch moralische Einschränkungen gibt. Anders zu leben, würde mich langweilen.
    Ich weiß, es grenzt an ein Wunder, dass man mich bis jetzt noch nicht »kaltgemacht« hat, und es könnte jeden Tag passieren. Ich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, nie wieder freizukommen, ziemlich groß ist. Aber was werden später meine Kinder über mich sagen? Wozu lebe ich? Glauben Sie mir, Natascha, das sind keine müßigen Fragen.
    Ich will, dass sie sagen: Er hat getan, was er konnte und was er für sein Land für richtig hielt, und er hat nicht versucht, um jeden Preis zu überleben. Mag er sich auch getäuscht haben, in manchem oder sogar in vielem.
    Das ist der Grund für mein Verhalten im Jahr 2003, und auch schon 2000, während des Trauerspiels um NTW .
    Ich bin ein Mensch, der leicht zu begeistern ist, besonders, wenn ich ein Spielzeug wie Yukos in die Hände bekomme; ich kann auch übersehen oder ich kann mich dazu bringen zu übersehen, was um mich
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