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Mein Name ist Afra (German Edition)

Mein Name ist Afra (German Edition)

Titel: Mein Name ist Afra (German Edition)
Autoren: Angela Dopfer-Werner
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lange Nacht über und den darauffolgenden Tag verharrten die Menschen wartend und bangend auf unserem Hofplatz. Die einen suchten ihre Zuflucht im stillen Gebet und faßten einander dabei angstvoll bei den Händen, und die anderen beredeten wieder und wieder den Ansturm der Ungarn auf Augusburc und die tapferen Krieger des Bischofs, und wenn auch in ihren Augen Furcht und Verzweiflung stand, so gaben sie sich doch siegessicher und lobten die Truppen unseres Königs mit glühenden Worten.
    Kein Mann und keine Frau aus unserem Dorf fand in dieser langen Nacht Schlaf und Ruhe, und nur die Kinder rollten sich irgendwann auf einer wollenen Decke zusammen und schliefen vor lauter Erschöpfung und Angst ein. Ich blieb wach und kauerte neben Ella und Agilolf auf der Erde, und ich betete mit meinem Vater und den Frauen und hörte den aufgeregten Gesprächen der Männer zu. Erst im Morgengrauen stand ich widerwillig auf und ging in den Stall, um das Vieh zu füttern und zu melken, und Richlint, die abseits von mir und den Kindern am Rande des Platzes gewacht hatte, folgte mir ohne ein Wort.
    Schweigend hoben wir mit den schweren Holzgabeln das dreckige Stroh auf die Karren, schweigend hockten wir eng nebeneinander im düsteren Stall auf den dreibeinigen Schemeln und molken die Kühe und Ziegen, und selbst als wir im hellen Licht des Tages im Obstgarten die Eier der Hühner einsammelten und die Schafe in ihrem Pferch fütterten, fiel kein einziges Wort zwischen uns. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß Richlint blaß und müde war, ihre goldbraunen Augen waren von dunklen Schatten umgeben und lagen tief in ihrem Gesicht, und ihre Lippen waren weiß und dünn wie ein schmaler Strich. Immer wieder faßte sie mit einer Hand an ihren Rücken, so als ob sie Schmerzen hätte und nicht länger stehen könnte, und doch arbeitete sie beharrlich und ohne einen Laut an meiner Seite, bis wir alle Tiere versorgt hatten und die warme Milch in Trögen gesammelt war.
    An der Furt bei der Schmiede stieg ich mit hochgeschürztem Rock zwischen den Büschen und Sträuchern am Bachrand ins Wasser und wusch den braunen Mist in meinen Zehen aus, und Richlint stand neben mir, in ihrem kurzen, weiten Kleid, und ließ das kühle Wasser der Pitenach über ihre nackten Füße laufen. Ich spürte die groben Kiesel unter meiner Sohle und sah die hellen Strahlen der Sonne auf den großen Steinen im Wasser glänzen, und über mir rauschte ein leichter Wind in den Blättern der Bäume und vertrieb die schwüle Luft der vergangenen heißen Tage. Kein Mensch war zu sehen außer Richlint und mir, und als ich so neben meiner Freundin im klaren und reinen Wasser des Baches stand, wurde mir bewußt, wie sehr ich sie liebte und brauchte, und salzige Tränen liefen im Innern meiner Kehle hinunter, weil ich mich so sehr davor fürchtete, sie zu verlieren.
    Und doch gab es nichts zwischen uns zu sagen, was nicht schon gesagt worden war, und keine noch so schönen Worte konnten unser Schicksal aufhalten oder verändern. Wir schauten uns an und schlossen uns schweigend in die Arme, und wenn ich heute meine Augen schließe und an diesen Moment denke, dann rieche ich immer noch den süßen Duft von Richlint´s  Haut, und ich spüre ihre kurzen Haare meinen Hals kitzeln und den sanften Druck ihrer Hände und Arme auf meinen Schultern. Für den Rest meines Lebens und in alle Ewigkeit wollte ich geradeso stehenbleiben, die bloßen Füße von kühlem Wasser umspült, das Licht der Sonne in den Augen und die Arme der Freundin um meine Hüften, und ich wünschte mir, daß die Zeit für uns beide nicht gelten und es niemals wieder Nacht werden sollte.
    Doch vom Hofplatz riefen meine beiden Kinder mit lauten Stimmen nach mir, und die kleine Gisel kam mit wehenden Röcken angelaufen, um mich wieder zu den anderen Dorfleuten zu holen. „Chuonrad kommt! Der Haslachbauer kommt zurück!“ rief sie Richlint und mir entgegen, und wir rannten an der Schmiede vorbei zum Hofplatz, so schnell wir nur konnten. Gerade als wir atemlos vor dem Meierhof ankamen, wurden die Tore für Chuonrad geöffnet, und auf seinem schaumbedecktem Pferd galoppierte der Haslacher mitten unter die wartenden Leute. „Sieg! Sieg!“ schrie er mit hochgereckter Faust und sprang mit beiden Beinen von dem schnaubenden Roß auf die Erde, „der König hat den Kampf gewonnen! Das ungarische Heer ist zerstört und aufgerieben, und die blutdürstigen Heiden fliehen in Scharen über die Lecha nach
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