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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten
Autoren: Wladimir Kaminer
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Haushalt der Inhalt des Kellers mehr über die Familie erzählt als der aktuelle Möbelbestand. In solche Gedanken vertieft, blies ich ein Dutzend Luftballons mit Brandenburger-Torheiten-Motiven auf und befestigte sie vorsichtig am Stacheldraht vor unserer Parzelle. Zwei platzten sofort, die anderen blieben hängen.
    Das Jubiläumsprogramm wurde nach altgriechischem Rezept zusammengestellt – Brot und Show. Geplant hatte man: das Wecken der Parzellen mit Pauken und Trompeten, Kaffee und Kuchen, Kindertheater, Sportwettkämpfe, Dartspiel-Wettbewerbe, den Auftritt eines Zauberers, Eisbeine aus der Gulaschkanone, einen Tanzball mit DJ Gartenzwerg. Mich interessierte vor allem das Theaterstück Die wilde Prinzessin , das Frau Krause persönlich schreiben, inszenieren und aufführen wollte. Ich kannte meine Nachbarin bereits als aktive Gärtnerin, politisch engagierte Bürgerin, liebende Mutter und eifersüchtige Ehefrau, als Tierschützerin, Veterinärin und Vorsitzende des Elternrates. Ich wusste, dass es in unserem Bezirk keine Bürgerinitiative und keinen Verein gab, in dem sie nicht aktives Mitglied war. Ich wusste auch, dass sie Harfen- und Strickunterricht nahm; auf einer Theaterbühne hatte ich sie jedoch noch nie gesehen. Da ich früher selbst engagierter Kindertheaterspieler gewesen war, wusste ich, welch enorme Verantwortung dieser Beruf mit sich brachte. Meine letzte Rolle in einem Kindertheaterstück endete, nebenbei bemerkt, mit einem Brand und einer Anzeige wegen vorsätzlicher Ruhestörung. Damals, vor fünfzehn Jahren, hatten wir, eine kleine, aber begabte Off-Theater-Gruppe, im Rahmen des Festivals »Theater nach der Diktatur« ein Tanztheaterstück –  Das Herz des Drachen  – mit großem pyrotechnischen Aufwand uraufgeführt. Und zwar mit freundlicher Unterstützung der damaligen Kulturbeauftragten des Bezirks, die sogar selbst an dem Abend bis auf die Unterwäsche mit abbrannte, weil der Pyrotechniker verschlafen hatte und niemand von uns so genau wusste, wo er seine Feuerwerkskörper und kleinen Bömbchen platziert hatte. Ich spielte damals den Drachen mit Herz. Es ging um eine unglückliche Liebesbeziehung, und die Rolle war zum Teil autobiographisch angelegt, allerdings ohne Text. Ich spuckte Feuer und wurde am Ende von den Soldaten der königlichen Garde hingerichtet. Noch heute habe ich Phantomschmerzen im ganzen Körper, wenn ich an meinen damaligen Theatereinsatz denke. Das Theaterstück von Frau Krause sollte jedoch kein pyrotechnisches Tanztheater werden. Ich stellte es mir eher als philosophisches Drama mit Gesangselementen vor.
    Das Stück sollte um fünfzehn Uhr Berliner Zeit zur Freude aller Kinder auf der großen Wiese vor dem Vereinsheim aufgeführt werden. Am Jubiläumsvormittag nieselte es, wie beinahe täglich in diesen Augusttagen. Die Parzellen wirkten übersauber und feierlich, alle Gartenfreunde saßen bereits auf der Wiese. Man konnte schon von Weitem Musik, Kindergeschrei und die kräftige Stimme von Frau Krause hören. Wir kamen ein wenig zu spät, die Eisbeine waren schon alle aufgegessen. Im Zentrum der Wiese, auf den besten Plätzen, saßen die Ältesten der Gemeinde an einem runden Plastiktisch unter einem großen  Pall-Mall -Schirm. Vor sich auf dem Tisch hatten sie eine Burg aus leeren Kümmerling -Fläschchen aufgebaut, die unglaubwürdig hoch war. Gemessen an ihrer Höhe konnte man meinen, die Kolonisten hätten seit Gründung der Kleingartenkolonie an diesem Architekturwunder gearbeitet, mit der Aussicht, früher oder später ganz in diese  Kümmerling -Burg einzuziehen. Die jüngeren Gärtner sorgten für Nachschub, der gleich kistenweise auf den Tisch kam. Trotz des Kümmerling -Rausches oder vielleicht gerade deswegen starrten die Trinker wie gebannt auf die Bühne, wo Frau Krause, verkleidet als Pipi Langstrumpf, herumlief. Weil das Mikrophon kaputt, die Kinder zu laut und Frau Krause zu aufgeregt war, konnte ich den Text des Märchens nicht verstehen. Die Schauspielerin wirkte nervös und von ihrem Publikum im Stich gelassen, obwohl die  Kümmerling -Trinker ihr durchaus wohlwollend zuschauten und bestimmt auch mit beiden Händen geklatscht hätten, wenn sie dazu noch fähig gewesen wären. Bei den Kindern stieß das Stück dagegen auf Desinteresse. Sogar Frau Krauses eigene Tochter weigerte sich zuzuschauen.
    »Ich kann es nicht mehr sehen«, quengelte sie. »Mama spielt das Stück schon ewig und zu jedem Anlass: im Kindergarten, in der Schule, bei
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