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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten
Autoren: Wladimir Kaminer
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Lucia, ich kenne hier ein gutes Klo.« Das gute Klo hielt trotzdem durch – ein Zauberkasten.
    Am 29. Mai, zwei Tage nach der Prüfungskommission, blühte die erste Rose. Unverschämt rot stand sie in einer Ecke, umgeben von grünen, unausgereiften Erdbeeren. Diese viel gefürchtete Prüfungskommission war übrigens an uns vorbeigesaust wie ein leichter Frühlingsregen. An diesem wichtigen Tag hatten wir beschlossen, einfach zu Hause vor dem Fernseher zu bleiben. Der Sommer hatte sich gerade eine Pause gegönnt, es regnete, und der Himmel war mit Wolken überzogen. Zur Not konnte der neugierige Vorstand einfach über den Stacheldraht zu uns in den Garten gucken, dachte ich und malte mir genüsslich aus, wie die Prüfungskommission an unserem abgesperrten Gartentor stand, am Zaun rüttelte und sich vor Wut in die Ärmelschoner biss.
    Im Fernsehen berichteten die westlichen Nachrichtensender von dem bösen braunen Bären, der ganz Bayern in Schrecken versetzte, mehrere Hühner und eine Kuh tötete und sich dann der österreichischen Grenze näherte. Der schlaue Bär hatte sogar gelernt, an die Türen der Bauern zu klopfen. Wahrscheinlich, weil er beobachtet hatte, dass die Bauern immer die Tür aufmachen, wenn jemand klopft. Der Bär stürmte dann an ihnen vorbei in die Küche und aß blitzschnell alles auf, was er finden konnte.
    Sabine Christiansen versammelte eine extra Talkrunde zum Thema »Böser Bär«. Eingeladen wurden der Vorsitzende eines bayerischen Jagdvereins, eine Frau, die mit einem Bären zusammenlebte, der Exehemann der Frau, die mit einem Bären zusammenlebte, der deutsche Innenminister, der aussah, als hätte man ihn bei der vorletzten Show gleich im Studio gelassen, und ein bekannter Ornithologe, der gerade ein Buch über Vogelmigration geschrieben hatte. Die Bärenfreundin meinte, die Bären seien bessere Liebhaber, der Vorsitzende des Jagdvereins gab an, schon sehr viele Bären mit Freude erschossen zu haben. Der Innenminister forderte die Regierung auf, die Verfassung zu ändern, um die Bundeswehr im Kampf gegen den Bären einsetzen zu dürfen. Ferner schlug er vor, Teile der bayerischen Alpenbevölkerung kurzfristig zu evakuieren, um den Bären auch aus der Luft angreifen zu können. Der Exehemann stimmte ihm zu, der Ornithologe lächelte.
    In den Tagesthemen wurde dann anschließend ausführlich über die Unterdrückung der Homosexuellen in Russland berichtet. Dafür gab es gute Gründe. Am gleichen Tag, an dem unser Garten geprüft werden sollte, wurde die erste Schwulenparade in Moskau von der Stadtverwaltung verboten. Der Bürgermeister sagte, er könne nicht für die Sicherheit der Parade garantieren. Mehrere ausländische Politiker und Journalisten, die zur Parade eingeladen worden waren und es gewagt hatten, in Moskau auf die Straße zu gehen, waren von bösen Frauen beinahe in Stücke gerissen worden. Die Organisatoren der Schwulenparade änderten daher kurzfristig ihre Taktik. Statt durch die Straßen zu ziehen, zogen sie zum Ewigen Feuer an der Kreml-Mauer, um dort vor dem Mahnmal des Unbekannten Soldaten Blumenkränze niederzulegen, wie es Hochzeitsgesellschaften und Kriegsveteranen tun. Doch auch dorthin wurden sie von der Polizei und einer gegnerischen Demo nicht gelassen. Die westlichen Beobachter brandmarkten meine Heimatstadt als totalitär, faschistoid und homophob.
    Im russischen Fernsehen, das wir per Satellit empfangen, war die Schwulenparade ebenfalls das Tagesthema. Dort lief eine Talkshow zum aktuellen Anlass. Die russische Sabine Christiansen, eine großwüchsige Blondine mit massivem Busen und angeklebten Wimpern, die beim Zwinkern quietschen, moderierte eine kleine Runde, bestehend aus dem Moskauer Bürgermeister, einem Popen der orthodoxen Kirche, einem Menschenrechtler, einem Sänger in Frauenkleidern und einem Seemann, der gerade mit einem Eisbrecher vom Polarkreis zurückgekehrt war und dessen Bezug zur verbotenen Schwulenparade völlig unklar blieb.
    Es darf in der russischen Hauptstadt einfach keine Sodomiten geben, meinte der Pope. Der Menschenrechtler konterte, es sei das gute Recht jedes Bürgers, Sodomit zu sein. Der Sänger und einzige Sodomit in der Runde lächelte darob nervös und sagte gar nichts. Der Seemann, der die ganze Zeit fieberhaft überlegt hatte, was er in dieser Sendung zu suchen hatte, ergriff plötzlich das Wort und meinte, er habe eigentlich nichts gegen Schwule, sie sollten ihm nur nicht zu nahe treten. Der Bürgermeister blickte die ganze
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