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Mein Leben Als Suchmaschine

Mein Leben Als Suchmaschine

Titel: Mein Leben Als Suchmaschine
Autoren: Horst Evers
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Schnupfen.
    - Ach, du weißt ja gar nicht, was für dich gut ist. Mach, was du willst, ich bleibe in jedem Fall. Hmpff.
    Alles, was recht ist. Verglichen mit sowas war das Verhalten der Bursitis schon sehr viel erwachsener und reifer. Alles in allem eine sehr wohlerzogene Krankheit. Und dennoch. Irgendwie vermutet man immer: Das dicke Ende kommt erst noch. Und das dicke Ende kam.
    Vier Wochen nach der Bursitis mußte ich noch mal zur Ärztin zur Kontrolle. Sie war ganz begeistert von der völlig genesenen Schulter, gab aber zu bedenken, daß meine Gelenke vielleicht generell ein bißchen empfindlich und anfällig seien, ich sollte doch vielleicht ein bißchen Vorsorge betreiben. Und ich dummer Mensch sage in meiner unendlichen Einfalt den ausnehmend dämlichen Satz:
    - Natürlich, was kann ich tun?
    Auf diese Unachtsamkeit hatte die Ärztin offensichtlich nur gewartet. Lächelnd baute sie sich vor mir auf und wuchtete mir das dicke Ende direkt ins Gesicht:
    - Gymnastik.
    - Was?
    - Gymnastik.
    - Wer?
    - Sie.
    - Nein.
    - Doch.
    - Verdammt.
    Gymnastik. Das war das, was in meiner Kindheit die Seniorengruppe immer dienstags von 16.00 bis 17.00 Uhr im Gemeinschaftsraum des Gemeindehauses der evangelischen Pfarrgemeinde Burlage gemacht hat. Wo sie rosa Plastikbälle von einer Hand in die andere gepufft haben. Im Takt von irgendwelchen Popmusikimitaten, wie D-I-S-C-O. Wo hinterher beim Konfirmandenunterricht immer noch der ganze Raum roch. Der ganze Raum roch nach Seniorengymnastik. Ein längst vergessener Geruch, der mir jetzt aber sofort wieder in die Nase stieg. Nur diesmal war dieser Geruch nach Seniorengymnastik - ich selbst.
    Das kann doch nicht sein. Ich bin doch Fußball, Mountainbikefahren, Pogotanzen. Ich bin nicht Gymnastik.
    Nicht ich.
    Na gut, fragte ich die Ärztin mit fast tonloser Stimme nach evangelischen Gemeindehäusern in der Gegend, die so etwas anbieten. Sie lachte:
    - Neenee, das machen die Fitnesscenter. Das sind lang schon keine Bodybuilderbuden mehr. Alles alte Klischees. Heute sind das moderne Körper- und Wohlfühldienstleistungszentren für Leute wie Du und ich.
    Für Du vielleicht, dachte ich, aber nicht für mich.
    Der freundliche Herr am Counter des Fitnesscenters wußte bei mir sofort, was Sache ist.
    - Ah, Sie kommen wegen Gewichtsproblemen?
    - Nein, ich komme aus purer Dummheit. Ich möchte gerne, nein, ich muß in die Gruppe für Seniorengymnastik.
    - Hamm wa nich.
    - Gut, dann geh ich mal wieder.
    - Moment, ich tu Sie in die Gruppe für Anti-Aging-Fitness.
    - Anti-Aging-Fitness? Was genau ist das?
    - Seniorengymnastik.
    - Ach so.
    - Der Kurs läuft jetzt gerade. Gucken Sie doch mal.
    Ich schaue hinüber, und da ist er wieder. Der Geruch meiner Kindheit.
    Wenn ich’s mir recht überlege, hätte ich vielleicht doch lieber wieder einen treuen und anspruchslosen Schnupfen. Es ist nicht alles schlecht an einer verstopften Nase.

5… dem Wohin
Religiöse Orientierung

    Das Telefon klingelt. Ich gehe ran.
    - Ja
    - Ja, guten Tag, spreche ich mit Herrn Evers?
    - Ähm, sag ich nicht.
    - Ach. Warum nicht?
    - Na, weil ich noch gar nicht weiß, ob Herr Evers überhaupt mit Ihnen sprechen will. Falls nicht, ist es mir, glaub ich, lieber, wenn ich jemand anderes bin.
    - Verstehe, ich rufe an im Auftrag der Gemeinschaft der globalen Erneuerungskirche. Herr Evers, dürfte ich Sie fragen, bei welchem Religionsanbieter Sie sind.
    - Äh, evangelische Kirche.
    - Ah, schön. Herr Evers, haben Sie schon mal daran gedacht, Ihren Religionsanbieter zu wechseln?
    - Äh, ah, jetzt weiß ich, ich bin nicht Herr Evers.
    - Was?
    - Ach, war nur ’n Versuch.
    - Herr Evers, wir denken, Ihre alte Kirche kassiert zu viel Glauben von Ihnen.
    - Ach. Na, so viel ist das eigentlich gar nicht, was ich da glauben muß. An sich geht das, also das ist schon machbar. Was die so verlangen, das ist eigentlich schnell weggeglaubt. Nee, geht, geht echt.
    - Herr Evers, Ihre Kirche verlangt von Ihnen erhebliche Gebühren und bietet Ihnen nur den Zugang zu einem Netz.
    - Ach.
    - Bei uns haben Sie schon in der Economy-all-Religion-Flat Zugang zu 6397 verschiedenen Göttern, darunter alle großen Weltreligionen. Alle Netze ein Tarif, verstehen Sie? Inklusive kostenloser Direkt-Hotline bei plötzlichen Glaubensstörungen und voller Geld-zurück-Garantie, falls Sie denselben Glauben irgendwo anders günstiger bekommen sollten.
    Ich lege auf. Ich finde, man sollte nur an einen Gott nicht so wirklich glauben. Wer an ganz viele Götter nicht
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