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Mein Koerper und ich - Freund oder Feind

Mein Koerper und ich - Freund oder Feind

Titel: Mein Koerper und ich - Freund oder Feind
Autoren: Hanne Seemann
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(Bandscheibe), konnte nicht sitzen, Gelenkprobleme in den Knien (Arthrose) und war so depressiv, dass er sagte: »Mindestens einmal pro Woche denke ich, ich nehm mir einen Strick und häng mich in der Scheuer auf.« Die Scheuer gehörte zu seinem Elternhaus, in dem er, seit die Eltern tot waren, wohnte. Unten sein Sohn mit Familie, oben er mit seiner Frau. Seine Eltern waren noch richtige Bauern gewesen, er hatte das auch werden sollen, war der einzige Sohn. Zwei Jahre nacheinander war sein Lehrer zu den Eltern gegangen und hatte sie überreden wollen, den Sohn in die Stadt aufs Gymnasium zu schicken, dann gaben sie nach. Er war in der Schule und im Studium erfolgreich, nebenbei half er zu Hause in der Landwirtschaft. Dann bekam er eine gute Stelle in einem Wirtschaftsunternehmen, wo er erfolgreich war und kontinuierlich aufstieg – bis sich etwas veränderte, was er nicht verstehen konnte: Es ging gesundheitlich und beruflich bergab, sozusagen Hand in Hand. Durch den Bandscheibenvorfall und häufige Migränen fiel er immer mal aus, war nicht mehr so belastbar, machte Fehler, die seine Kollegen ausnutzten und gegen ihn wendeten. Als die Knie schlechter wurden, konnte er keine Radtouren mehr unternehmen – eine Aus-Zeit, in der er sich immer gut hatte erholen können. Seine Frau wurde unzufrieden mit ihm, nörgelte. Er sagte: »Sie redet, wo sie eigentlich den Mund halten sollte!« Als ich diesen Mann zum ersten Mal sah, war er so ziemlich am Ende – und ich als Psychologin war wohl auch das Letzte, wohin sich ein Mensch mit solchen körperlichen Leiden wenden mag, zudem kam er von weither angereist. Er war bleich, hager, eingefallen, im eigentlichen Sinn invalide. Sein Plan war die Frühberentung – nicht als eigener Wunsch, sondern weil es einfach nicht mehr ging. Wenn nichts mehr geht, und eingedenk der greifbaren Nähe des Strickes und der Scheune dachte ich, wie immer in solchen Fällen, an die Bremer Stadtmusikanten: Lasst uns nach Bremen gehen – etwas Besseres als den Tod finden wir allemal!
    Ich fragte also diesen Mann, wohin er gehen würde, wenn er könnte, wie er wollte. Da sagte er spontan: »In den Schwarzwald.« Ich fragte ihn weiter: »Jetzt, wo Sie schon ein bisschen älter sind: Was für einer sind Sie eigentlich? Anders gefragt: Wenn Sie könnten, wie sie wollten, wer wären Sie dann?« Er sagte: »Ein autarker Bauer.« »Da ist einer oben im Wald, der lebt ganz für sich – also autark halt. Ich kenn den, ich muss da mal wieder hin und nachsehen, ob es den noch gibt. Der hat auch eine Quelle, da oben. Wissen Sie, das ist wichtig. Das Wasser. Ich wollte immer einen Teich, dann hab ich mir einen gegraben – hinter der Garage, das müssen Sie sich mal vorstellen! Da hab ich ihn nicht mal sehen können, vom Haus aus. Mittlerweile hab ich ihn wieder zugeschoben. Meine Frau pflanzt da jetzt Gemüse.«
    Er war nicht darauf gefasst, dass ich ihn in seinem Wunsch bestärken würde. Und als ich ihm sagte, dass auch für mich ein Garten ohne Teich kein richtiger Garten sei und dass Wasser, je größer, umso besser, auch für mich das Element sei, wo meine Seele immer hinwolle, veränderte sich sein Aussehen: Er lachte, wurde vergnügt, und wir plauderten noch eine ganze Weile über die Zeit, wenn er in seinem Schwarzwald, tief drinnen, als autarker Bauer leben würde – mit den Viechern, die natürlich dazugehören.
    Inzwischen habe ich gehört, dass er seinem Job wieder einigermaßen gewachsen ist, noch ein paar Jährchen arbeiten will und offenbar – außer der Ärztin, die ihn an mich überwiesen hat – keinem etwas davon sagt, was er dann vorhat.
    Ich hoffe in solchen Fällen, deren es viele gibt, immer, dass der Traum über die Zeit hinwegträgt, dass er nicht verblasst wie ein fadenscheiniger Regenbogen und dass der Mensch schon mal anfängt zu überlegen, wie er ihn, so die Zeit gekommen ist, realisieren wird. Denn das Gute an den echten Wünschen und Träumen ist, dass sie dem Träumer entgegenwachsen, dass sich etwas Passendes ergibt – das Entgegenkommen des Schicksals, wenn es sagt: »Ihr ergebenster Diener«, ist ja sowieso das Beste, was passieren kann. Man muss nicht alles selbst machen.
Das Alter
    Zehn mal sieben macht siebzig – jetzt werden wir alt. An den Status als Rentner haben wir uns schon gewöhnt – seit fünf Jahren, vielleicht sind es auch nur drei, wenn die Regierung sich demnächst durchsetzt. Aber zum richtig alt werden haben wir noch viel Zeit – heutzutage. Da
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