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Mein Koerper und ich - Freund oder Feind

Mein Koerper und ich - Freund oder Feind

Titel: Mein Koerper und ich - Freund oder Feind
Autoren: Hanne Seemann
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ins Krankenhaus gebracht, und sogleich wird die nächste Etappe geplant und ein Heim gesucht, wo sie dann in einem Zimmer sitzen oder liegen und warten.
    Manche, die es gern haben, wenn andere sich um sie kümmern und sie pflegen, vielleicht, weil es da auch eine unausgeglichene Bilanz von kümmern und gekümmert werden gibt, kommen damit gut zurecht – für andere ist es der reinste Horror. Da kann man nur raten: Bald nach dem siebzigsten Geburtstag, falls man ihn einigermaßen lebendig erreicht, darüber nachdenken, auf welche Weise man ganz konkret den Rest seines Lebens verbringen möchte – gepflegt werden eingeschlossen, falls das eine Option wäre. Und sich umsichtig auf den Weg dahin machen. Es nützt allerdings nichts, sich in jungen Jahren darüber schon mal Gedanken zu machen, weil man da noch gar nicht absehen kann, wer man sein wird und was man für Bedürfnisse haben wird, wenn man alt ist – ich weiß, wovon ich spreche. Man selbst und die eigenen Wünsche verändern sich in unabsehbarer Weise, sodass man sich nur wundern kann. Viele Frauen, die immer behauptet haben, sie würden niemals werden wie ihre Mutter, stellen nun, nicht nur wenn sie in den Spiegel schauen, auch bei bestimmten Gesten, Gewohnheiten und sogar Ansichten(!) fest, dass sie ihr ähnlich geworden sind, und finden das nicht einmal so furchtbar, sie hören sich Sprüche ihrer Vorfahren, die sie in der Kindheit gehört und schon lang vergessen hatten, selbst sagen und entwickeln Vorlieben, die neu sind. Insofern ist das Leben im Alter voller Überraschungen, und wenn man den Bedürfnissen des Körpers und der Seele – die nun noch inniger zusammenleben – nachhört und nachgibt, ist das hohe Alter eine gute Zeit.
    Es ist die Zeit, in der der alte Mensch langsamer wird, seine Eigenarten entwickelt, eigenbrötlerisch wird, bedächtig seine Marotten kultiviert, einen täglichen Zeitrhythmus hat, der nicht gestört werden darf, und sich seinen Liebhabereien hingibt. Letzthin sprach ich mit einem alten Klinikarzt, der früher ein hoch disziplinierter und gestrenger Chef war, und fragte ihn, was er denn jetzt so mache. Er sagte: »Mir geht es gut. Morgens brauch ich lang, bis ich auf den Beinen bin. Da lasse ich mir Zeit, während meine Frau laufen geht. Dann gehe ich in meinen Garten. Mein ganzes Arbeitsleben habe ich mir gewünscht, ich könnte morgens in meinem Garten arbeiten. Dann esse ich zu Mittag, meine Frau kocht. Dann schlafe ich ein Stündchen, und dann spiele ich Klavier – ich sage Ihnen: das ist ein Leben!«
    Von einem anderen, über neunzigjährigen Mann habe ich schon in einem früheren Buch erzählt. Ich traf ihn im Zug, da war ich selbst noch recht jung. Er hielt die Abteiltür auf und sagte: »Kommen Sie rein, ich brauch ein bisschen Gesellschaft.« Nachdem er sich einen Zigarillo angezündet hatte – sonst gehe ich nie in Raucherabteile, heute gibt es die auch gar nicht mehr – und mit Erstaunen erfahren hatte, dass er in der nächsten Woche beabsichtige, mit dem Auto nach Spanien zu fahren, fragte ich ihn, wie man es hinbekäme, noch so schöne funkelnde Augen zu haben, wenn man so alt wäre wie er. Er sagte allen Ernstes: »Gnädige Frau, das kann ich Ihnen sagen. Fangen Sie an, möglichst nur noch an solchen Sachen zu arbeiten, für die Sie sich interessieren. Und verbringen Sie mindestens drei Monate im Jahr am Meer.« – Das war ein guter Rat! Dann stieg er aus, nicht ohne mir gedankt zu haben, dass ich ihn nicht vom Rauchen und vom Autofahren abzubringen versucht hatte – bei seinem Alter.
    Was ich damit sagen will? Wir sollten dem hohen Alter wieder mehr Respekt entgegenbringen. Und zwar nicht in der althergebrachten Weise, dass wir meinen, die Alten könnten die Jungen beraten, wie sie leben sollen. Das können sie nicht, weil die Welten, in der die Generationen leben, einander völlig unähnlich sind. Aber dennoch in der Hinsicht, dass jedes Alter seine Besonderheiten und seine Schönheit hat.
    Dann könnten alte Menschen stolz sein auf ihre eigenen Lebensformen, müssten sich nicht mit den Jungen vergleichen und messen, bräuchten sich nicht zu verstecken. Sie könnten die Jungen manchmal um eine definierte Hilfestellung bitten, ohne gleich befürchten zu müssen, betütelt und dominiert zu werden. Und könnten vielleicht sogar in aller Würde nach und nach in eine geistige Welt-Abgewandtheit hineingleiten, die die Jungen, wenn sie sie bemerken, viel mehr fürchten als die Alten selbst. Sie könnten es
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