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Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)

Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)

Titel: Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
Autoren: Sven Hannawald
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des Fliegens. Und dann die Landung.
    Um 13.49 Uhr hatte das Ritual der Vorbereitung begonnen. Leichte Auflockerungsübungen im Cateringzelt, der einzige Ort für mich noch ohne Kameras im Rücken. Nach 8 Minuten ging ich beschwingt in den Teamcontainer. Peter Lange war noch mit letzten Vorbereitungen an den Skisprunglatten beschäftigt. Und dann der erste Durchgang, der perfekt passte.

    Die letzten Schritte vor der Entscheidung: Der Weg hinauf zum Anlaufturm ist fast erholsam, weil endlich mal keine Fernsehkameras stören. Ich bin ganz bei mir, bevor ich oben auf der Schanze den letzten Sprung in meinem Kopf ablaufen lasse.
    Ich tauchte in meinen Tunnel ein
    Und dann ein ganz ähnliches Ritual vor dem zweiten Durchgang. Wieder auflockern, am Material herumfummeln. Keine Interviews, auch nicht mit RTL, die zig Millionen für Übertragungsrechte gezahlt hätten und mich erst gebeten, dann bekniet hatten, wenigstens ein kurzes Statement zu geben.
    Auch meine Familie wollte ich jetzt nicht sehen. Meine Mama Regina zitterte vor Nervosität. Mein Papa Andreas wäre jetzt am liebsten, so sagte er einem Journalisten, »zwei Stunden älter«, um meinen Sprung, der noch ausstand, vielleicht schon als Siegsprung zu kennen. Und meine Schwester Jeannette hoffte auf die beruhigende Wirkung von Johanniskraut und Baldrian.
    Nein, ich wusste, dass mich jede kleine Ablenkung jetzt viel Konzentration und Kraft kosten würde. Ich wollte einfach nur noch mein Zeug machen.
    Schließlich der Gang hinauf zur Schanze, auf den 52 Meter hohen Anlaufturm. Später sah ich auf Bildern, dass ich unterwegs lächelte. Und Journalisten mutmaßten: War es ein Bluff, wie ich meine Anspannung überspielte? Oder war es der Spiegel meines neu gewonnenen Selbstbewusstseins?
    Ich weiß es nicht. Mit festem Schritt ging ich die paar Hundert Schritte hinauf zum Absprungturm, die 2,68 Meter langen Sprungskier auf meiner Schulter. Es gelang mir, unterwegs in diesen Tunnel einzutauchen, in dem du nichts mehr hörst, nichts mehr wahrnimmst, nichts mehr denkst. Das ganze dröhnende Chaos um mich herum, der Beifall, der Jubel, die Erwartungen – nichts davon erreichte mich mehr.
    Ich hörte nur noch mein Herz pochen.
    »Richtig geile Bombe«
    Und dann dieser Sprung für die Ewigkeit, den ich heute noch präsent habe, den ich, wenn ich die Augen schließe, wie einen Film ablaufen lassen kann, in Zeitlupe und in Farbe, der aber in meiner Erinnerung dennoch ewig weit weg erscheint.
    Die 6 Sekunden unterwegs in der 118,5 Meter langen Anlaufspur. Die 6 Sekunden Fliegen. Die 131,5 Meter. Die angedeutete Telemark-Landung. Die Jubelpose. Dann stütze ich die Hände auf die Knie. Schüttele den Kopf. War es der Moment, der mich beugte? Er war gewaltig groß, dieser Moment, viel zu groß, um ihn sofort begreifen zu können.
    Meine Schwester war am schnellsten. Kaum hatte ich meine Skier abgeschnallt, war Jeannette schon da und fiel mir um den Hals. Die Mama war etwas langsamer, der Vater landete im geschlagenen Feld. Er nannte mich vor den Fernsehkameras eine »Wildsau«, weil ich mit diesem übermenschlichen Druck so cool, so souverän umgegangen wäre.
    »Ich kapiere das alles gar nicht«
    Meine Trainer mussten erst vom Schanzentisch hinunter in den Auslauf. Bundestrainer Reinhard Heß kam strahlend auf mich zu, zog seine Kappe und verneigte sich vor mir. Er und Cotrainer Wolfi Steiert schulterten mich und trugen mich durch die Arena. Von da oben erlebte ich, wie die meisten der 30.000 Zuschauer sangen: »Oh, wie ist das schön, oh, wie ist das schön.«
    Ich weiß nicht mehr, was ich nach meinem Triumph zu Günther Jauch, dem Moderator, gesagt habe. Aber man kann es ja jederzeit bei YouTube abrufen. »Jetzt bin ich wirklich froh, dass es vorbei ist«, habe ich also gesagt. »Noch einen Tag länger, dann wäre ich gestorben oder hätte übermorgen eine Glatze. Die zehn Tage, die wir jetzt unterwegs waren, waren so extrem.«
    Ich wurde auf der anschließenden Pressekonferenz gefragt: »Was haben Sie vor dem letzten Sprung gegen die Aufregung gemacht, Herr Hannawald?«
    Und ich antwortete nur: »Die Nervosität war extrem katastrophal.«
    Und dann sprach ich noch von einer »richtig geilen Bombe«, die mir auch zuletzt noch mal gelungen war. »Das ist sensationell. Ich kapiere das alles gar nicht. Trotz des ganzen Nervendrucks gelingen mir einfach phänomenale Sachen.«
    Tatsächlich war ich völlig fertig. Total leer. Ich hatte die letzten Nächte kaum mehr ein Auge
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