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Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)

Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)

Titel: Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
Autoren: Sven Hannawald
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Deswegen wurde von allen Kindern der Umfang von Brust und Hüfte sowie die Breite von Schulter und Becken vermessen, um daraus Prognosen für die Zukunft abzuleiten.
    Wer heute die ESA-Anweisungen von damals liest, staunt über die unheimlich genauen Anweisungen. Zum Beispiel »Körperhaltung«: »Die Versuchsperson steht in Grundstellung (Beine geschlossen nebeneinander, Gewicht auf beide Füße gleichmäßig verteilt. Knie sind durchgedrückt. Maßpunkte: Die Enden des Beckenzirkels werden an die Trochanteren (also die Knochenvorsprünge am Oberschenkelknochen) angedrückt und der Messwert abgelesen. Erfassung und Eintragung in Zehntelzentimeter.«
    Bei jedem Kind wurden die Mittelhandknochen besonders sorgfältig vermessen, weil sich daraus die spätere Körpergröße (»finale Körperhöhe«) wissenschaftlich einigermaßen zuverlässig prognostizieren ließ. Kinder als »Versuchspersonen« zu sehen – das klingt mit dem Abstand der Jahre irgendwie gespenstisch.
    Wie gesagt: Bei mir wusste man schon frühzeitig: Der Sven wird mal ein großer Schlanker.
    Die zu erwartende Körpergröße kann nach dem Entwicklungsstand des Handwurzelknochens zuverlässig berechnet werden.
    Jedes 20. Kind genügte den Anforderungen
    Um die wenigen ganz Großen (größer als 1,90 Meter) buhlten die Clubs und Trainer verschiedener Sportarten geradezu, um sie als Ruderer, Volleyballer, Handballer oder Leichtathleten (Wurfdisziplinen und Hochsprung) zu gewinnen. Einer wissenschaftlichen Studie zufolge wurden in der DDR pro Jahrgang nur etwa 1500 Jungen größer als 1,90 Meter, und ebenso viele Mädchen wurden größer als 1,80 Meter. Und weil ein Teil der Kinder wegen Bewegungsstörungen ausfiel und manche einfach keine Lust auf regelmäßiges, hartes Training hatten, blieb nur eine kleine Zahl künftiger ganz Großer. Übrigens spielte deshalb der Teamsport Basketball im DDR-Sport nie eine Rolle, denn die Disziplin hätte zu viele Große gebunden. Auffällig kleine und leichte Schüler waren auch willkommen, sie wurden für olympische Sportarten mit Gewichtsklassen (Boxen, Ringen, Judo oder Gewichtheben) gemustert.
    Alle Daten flossen zunächst auf einer »Erfassungskartei zur Punktsumme« zusammen. Für geeignete Jungen und Mädchen folgten dann noch sportärztliche Untersuchungen und Befragungen der Lehrer und Eltern. Wenn Becken- und Schulterbreite stimmten, und nur dann, wurden auch noch »intellektuelle Fähigkeiten, kollektives Verhalten, Urteilsvermögen, Konzentrationsfähigkeit, Zielstrebigkeit, Impulsivität und Selbstvertrauen« abgefragt.
    Pro Jahr genügten rund 10.000 Jungen und 5000 Mädchen den ESA-Anforderungen. Sie wurden in die 1. Förderstufe des Spitzensports delegiert. In ein TZ, also in ein Trainingszentrum.
    Meine ersten Sprünge
    Damals, als kaum Sechsjähriger, wusste ich nichts von den gesellschaftlichen und politischen Zielen des DDR-Sportsystems. Natürlich nicht. Auch meine Eltern machten sich deswegen, wie sie später sagten, keinen großen Kopf. Ihnen war es vor allem wichtig, dass ich beim Training gut aufgehoben war. Das Bezirkstrainingszentrum »Hans Friedrich« der SG Dynamo Johanngeorgenstadt mit seinen sechs hauptamtlichen Trainern und zwölf Übungsleitern genoss einen guten Ruf. Ich war natürlich stolz, dass ich zu den zwölf Auserwählten meines Jahrgangs gehörte, und erlebte meine ersten Schritte auf dem Weg zu einem Skispringer als spannendes Abenteuer und großes Spiel.
    Anfangs trainierten wir dreimal in der Woche: einmal in der Halle, einmal Lauftraining, einmal Sprungtraining. Der Rahmenplan, der Trainingslehre und Methodik vorgab, kam aus einer übergeordneten Instanz, dem DSLV (Deutscher Skiläufer-Verband der DDR). Er sah für uns Sechsjährige eine »allgemeine athletische Ausbildung« vor. Zunächst wurde ich der Trainingsgruppe »Nordische Kombination«, die aus Skilanglauf und Skispringen, besteht, zugeteilt. Eine Spezialisierung aufs Springen, die ich von Anfang an wollte, sollte erst viele Jahre später möglich sein. Erst zehn lange Jahre später.

Eine ehemalige Vereinskameradin über Sven
    »Wir waren 1986 mal beide Sportler des Jahres«
     
    » Schon komisch, wie sich manchmal die Wege trennen. Manchmal reichen schon nasse Haare. Wie Sven wurde ich als Kind ins Trainingszentrum »Hans Friedrich« der SG Dynamo Johanngeorgenstadt aufgenommen. Ich war eine begeisterte Skilangläuferin. Direkt am Ortsrand gab es eine 2- und eine 3-Kilometer-Schleife. In unserer Gruppe waren wir
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