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Mein glaeserner Bauch

Mein glaeserner Bauch

Titel: Mein glaeserner Bauch
Autoren: Monika Hey
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Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat gezeigt, dass sich fast alle Frauen im Verlauf ihrer Schwangerschaft mit den Angeboten der Pränataldiagnostik auseinandersetzen müssen, während ihr Informationsstand zum Thema zugleich gering ist. 3 Sich erst während einer Schwangerschaft über die vorgesehenen Untersuchungen und ihre möglichen Folgen Gedanken zu machen, reicht nicht aus. Denn sogar Frauen, die wussten, welche Untersuchungen sie wollten und welche nicht, haben erlebt, dass sie während ihrer Schwangerschaft viel Kraft aufwenden mussten, sich tatsächlich anders zu entscheiden, als routinemäßig von ihnen erwartet wird. Nicht allen gelingt es, sich gegen die perfekt eingespielten Mechanismen der Pränataldiagnostik durchzusetzen.
    Es ist kaum zu übersehen, dass heute sowohl die Medizin als auch die Arbeitswelt immer mehr dem Modell des perfektionierbaren Menschen anhängen. Ein Leben im Wahn der Optimierung. Von Anfang an. Um jeden Preis. Eltern bekommen diesen Druck besonders zu spüren. Vollkommene Eltern von vollkommenen Kindern sollen sie sein. Wie werdende Eltern mit den Angeboten zur pränatalen Diagnostik umgehen, ihre Ängste und ihre Entscheidungen spiegeln auch diese gesellschaftlichen Bedingungen und Bewertungen wider.
    Pränataldiagnostik stellt das Leben von Kindern infrage, die anders sind als die Norm. Und den Eltern wird zugemutet, eine Entscheidung über Leben und Tod ihres Kindes zu treffen. Das ist eine geradezu unmenschliche Anforderung.
    Um es ganz deutlich zu sagen: Ich wende mich keineswegs gegen das mühsam erkämpfte Recht auf Abtreibung. Hier geht es um etwas anderes. Ich habe mich entschieden, meine eigene Erfahrung mit Pränataldiagnostik zu veröffentlichen, weil mir scheint, dass werdende Eltern zunehmend unter Druck stehen, ein behindertes Kind abzutreiben. Und mit dieser extremen Belastung meistens allein bleiben.
    Bis es mich selbst betraf, hatte ich wenig darüber nachgedacht, was eine Frau empfindet, die ihr Kind abgetrieben hat. Die einem Schwangerschaftsabbruch zustimmt, obwohl sie sich mit ihrem ungeborenen Kind vielleicht schon innig verbunden fühlt. Das Tabu, über eine Abtreibung nach pränataler Diagnostik zu sprechen, ist groß. Und möglicherweise kommt zur selbstverständlichen Erwartung an Schwangere, sich pränataldiagnostisch untersuchen zu lassen, bis heute die Ignoranz gegenüber dem Schmerz derjenigen Eltern hinzu, die ihr Kind wegen eines problematischen Befunds nach solch einer Untersuchung abgetrieben haben.
    Selbst in Veröffentlichungen zur Trauer von Eltern geht es fast ausschließlich um Fehl- und Totgeburten – und man sollte nicht vergessen, dass über Generationen auch dieses Leid tabuisiert und ignoriert worden ist. Dass Mütter ihre Kinder nach der Geburt nicht einmal zu sehen bekamen, ein Kind einfach entsorgt wurde, wenn es schon im Mutterleib oder bei der Geburt gestorben war.
    Es hat lange gedauert, zehn Jahre etwa, bis ich mich stark genug fühlte, mir die medizinischen Unterlagen aus der Zeit meiner eigenen Schwangerschaft anzusehen. Bis ich in der Lage war, von meinem Recht Gebrauch zu machen, meine Krankenakte einzusehen in der Praxis der Gynäkologin, die mich während der Schwangerschaft betreut hatte. Eine jüngere Ärztin hat inzwischen die Praxis übernommen. Befundberichte aus den Labors und der Klinik, und, zu meiner Überraschung, sogar die Aufzeichnungen meiner früheren Gynäkologin bekam ich in Kopie ausgehändigt.
    Darüber hinaus recherchierte ich, was ich mich so lange nicht getraut hatte anzuschauen. Ich beschäftigte mich mit Krankheitsbildern und suchte nach Erklärungen für Fachbegriffe, die ich in den Berichten aus den Labors und der Klinik gefunden hatte. Trisomie 21. Down-Syndrom. Hydrops fetalis. Meine journalistische Erfahrung gab mir den Rahmen, einer extrem schwierigen Zeit in meinem Leben noch einmal nachzuspüren. In Ruhe nachzudenken und zu schreiben. Um zu verstehen – so gut es geht –, was damals passiert ist.
    Es war ein schwieriger Prozess, in dem ich versucht habe, der entsetzlichen Erinnerung ein Gesicht zu geben. Damit sie mich nicht immer wieder hinterrücks überfällt, mich lähmt, oder in Tränen ausbrechen lässt, wenn jemand fragt: »Hast du Kinder?«
    Und hinter meiner eigenen Trauer entdeckte ich dabei sehr bald ein Thema, das über meinen eigenen Verlust weit hinausgeht.

D a liegt Ihr Kind in seiner ganzen Schönheit«, sagte die Frauenärztin und schaute konzentriert auf
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