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Mein Erzengel (German Edition)

Mein Erzengel (German Edition)

Titel: Mein Erzengel (German Edition)
Autoren: Erica Fischer
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vor Lachen. Können wir damit aufhören? Wie lange muss das noch so weitergehen?»
    Ruth ist verblüfft. Was meint er damit?
    Nun kehren die Träume wieder. Michaël steht in ihrem Zimmer, schön und schlank wie damals, als er neunzehn Kilo abgenommen hat, um ihr zu gefallen. Er hält ihr einen ihrer Schuhe entgegen, einen fersenfreien Sommerschuh mit kleinem Absatz, so wie sie in ihrer Teenagerzeit modern waren. Mit einem ironischen Lächeln sagt er, zu einem solchen Schuh würde eine Filmkamera passen. Er kommt mit einer Stofftüte wieder, in der sich eine Filmkamera in Form einer Pistole befindet. Dann ist er plötzlich wieder weg. In ihrem gestreiften Nachthemd läuft sie ihm hinterher, will ihn fragen, ob sie über seine Arbeit mit den Flüchtlingen einen Bericht schreiben darf, aber sie kann ihn nirgends finden. Sie weint und schreit, weil sie ihn immer noch liebt. Sie will sich ein Bad einlassen, um sich zu beruhigen. Das Bad ist mit einem Brett verschlagen. An der Stelle, wo das Wasser aus dem Hahn in die Wanne fließt, befindet sich ein Loch. Michaël taucht wieder auf und schimpft über einen Film, der sich darüber empört, dass ein so wertvoller Mensch wie er abgeschoben werden soll. Das bringt Michaël auf die Palme, diese Unterscheidung zwischen wertvoll und weniger wertvoll. Die Filmemacherin scheint eine Freundin von Ruth zu sein. Ruth versucht, das Gespräch auf ihre Beziehung zu lenken, sie würden sich doch immer noch lieben, sagt sie. Entrüstet weist Michaël einen solchen Gedanken zurück und verweigert jede weitere Erklärung. Es ist quälend, nicht zu begreifen, was er fühlt. Sie wird wohl akzeptieren müssen, dass er sie nicht mehr liebt, aber wirklich glauben kann sie es nicht. Einige Frauen kommen herein. Sie sind aufgekratzt wegen des Films, den sie eben gesehen haben. Ruth ist das Ganze peinlich. Sie wacht auf mit einem Gefühl großer Trauer.
    Ein andermal macht sie im Traum mit Michaël eine Paartherapie. Viele Therapeuten sind da und produzieren ein großes Durcheinander. Michaël legen sie eine Weltkarte vor. Die Therapeuten unterhalten sich untereinander, und die Stunde vergeht. «Beeil dich», flüstert ihm Ruth zu, «die Zeit ist bald um.» Endlich beginnt er zu sprechen, beschäftigt sich aber nur mit der Weltkarte, interessiert sich für die Inseln, deren Größe er analysiert. Réunion zum Beispiel sei genauso groß wie Uganda. Ruth, die die ganze Zeit geschwiegen hat, findet es rührend, dass er sich für Inseln interessiert, und empfindet eine große Zärtlichkeit für ihn. Sie sitzen mit den Therapeuten auf Stühlen, die ineinander verschachtelt sind. Die Beleuchtung ist schummrig. «Eine Insel», sagt Michaël, «ist wie eine Brust, die man streicheln kann.» Ruth merkt, dass sie die Bluse geöffnet hat und ihre Brust streichelt. Sie wundert sich, dass sie keinen BH trägt, und fragt sich, was die Therapeuten wohl denken werden.
    In einem anderen Traum ist Krieg. Eine alte Frau ist in einem Haus zurückgeblieben, das beschossen wird. Sie ist Jüdin. Bundeskanzler Schröder ist gekommen, um ihr zu helfen, die Frau zu retten. Er wird dafür kritisiert, es gäbe Wichtigeres zu tun. Sonst hätte man mir Antisemitismus vorwerfen können, sagt er. Er steht alleine auf einem menschenleeren Platz und spricht von der «Alten». Warum sagt er «Alte»?, fragt sich Ruth. Warum sagt er nicht einfach «Frau»? Es liegt das Gefühl in der Luft, dass sich der Aufwand für eine Alte nicht lohne. Man zeigt Ruth das Haus. Es ist aus Holz, und eine Hälfte ist eingestürzt. Durch einen Spalt kann sie das Zimmer sehen, die Frau sieht sie nicht. Schnitt. Es wird geschossen. Zuerst denkt Ruth, man würde in den Nachrichten übertreiben. Man könne die Lage ja auch anders darstellen, von der komischen Seite zum Beispiel. Aber dann sieht sie, dass es stimmt. Sie schießen von oben, man kann den Platz nicht mehr betreten. Ruth scheint unter jenen zu sein, die schießen.
    Ist es das, was er mit dieser Mail beabsichtigt? Dass sie wieder von ihm träumt? Was hat er davon, wenn es ihr nicht gelingt, sich von ihm zu lösen? Ist das seine Rache? Wofür eigentlich?
    «Von Lachen kann keine Rede sein», antwortet sie schließlich nach Tagen des Grübelns. «Mir ist nach Weinen zumute. Für mich ist keineswegs alles gut. Ich kann dir keine Absolution erteilen. Das musst du schon selbst erledigen. Vermutlich wird es weitergehen, solange du nicht den Mut aufbringst, dich einer Auseinandersetzung mit mir zu
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