Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein bis in den Tod

Mein bis in den Tod

Titel: Mein bis in den Tod
Autoren: Peter James
Vom Netzwerk:
verzweifelt lächelnd zu ihr aufgeblickt, als wollte er sagen: »Wenigstens mein Mund funktioniert noch, immerhin kann ich Gott immer noch dafür danken, dass er mich geschaffen hat.«
    Faith kehrte in Gedanken zu dem Mann zurück, dem Fremden im Gedrängel an der Bar, nachdem die Reden gehalten worden waren. Er war ohne Begleitung gekommen. Nur vier Schritte hätte sie gehen müssen, dann hätte sie direkt vor ihm gestanden. Ross war nicht an die Bar gekommen, sondern an seinem Tisch sitzen geblieben und hatte sich mit jemandem unterhalten. Nur vier Schritte. Stattdessen hatte sie sich unauffällig davongestohlen und sich in ein Gespräch zwischen Felicity Beard, der Frau eines mit Ross bekannten Gynäkologen – eine der wenigen Arztfrauen, die sie sympathisch fand –, und einer anderen Frau eingemischt. Sie hatten fast nur über den Thailand-Urlaub gesprochen, als Ross auftauchte und sagte, er wolle gehen, weil er am nächsten Morgen früh rausmüsse.
    »Ich habe dich beobachtet«, sagte er ruhig.
    »Und was hast du gesehen?«
    Wieder Schweigen. Nur die Geigen und die Nacht. Ein Straßenschild nach Brighton zuckte vorbei. Achtzehn Meilen. Sie wusste, was er meinte. Es hatte keinen Sinn, sich dumm zu stellen. Ross wirkte ruhig, aber in seinem Inneren herrschte brütendes Schweigen. Am besten ließ sie ihn in Ruhe, und wenn sie zu Hause ankamen, war er vielleicht zu müde, das Ganze aufzubauschen. Außerdem fühlte sie sich nicht gut genug, um mit ihm zu streiten.
    Sie dachte an Alec, der inzwischen längst im Bett lag und schlief. Es ging ihm bestimmt gut, er himmelte seine Großmutter an, die ihn verzog. Sie genoss es, über Nacht zu bleiben – Ross hatte ihr eine ganze Zimmerflucht im Haus eingeräumt. Wahrscheinlich war sie noch wach, saß kettenrauchend vor dem 60-Zoll-Fernseher, den er ihr gekauft hatte, und sah sich bis frühmorgens Spielfilme an, so wie während Faiths Kindheit, als sie Faiths bettlägerigem, unter Schlaflosigkeit leidenden Vater Gesellschaft leistete.
    Aufgrund von Gesprächen mit verschiedenen Leuten wusste sie, dass viele Frauen mit ihren Schwiegersöhnen schlecht auskamen. Aber ihre Mutter hatte sich von Anfang an gut mit Ross verstanden, denn er war zu ihr – und ihrem Vater in dessen letzten Lebensjahren – immer gut gewesen. Allerdings brachte das ein Problem mit sich: Es fiel Faith schwer, mit ihrer Mutter über Schwierigkeiten in ihrer Ehe zu sprechen. Ihre Standardantwort lautete nämlich, dass es in jeder Ehe Probleme gebe, und Faith sich über das, was sie hatte, freuen und Ross’ Gebaren als Folge der Belastung eines Mannes in seiner Position akzeptieren solle.
    Es war zwanzig nach zwölf. Wieder dachte sie an den Fremden beim Dinner. Wie das Leben mit einem anderen Mann, einem anderen Ehemann wohl aussehen würde? Wie könnte sie Ross’ Umklammerung entkommen? Wie würde Alec –? Plötzlich wurde ihr schlecht. »Halt an! Ross, schnell, fahr links ran!«
    Sie hatte das Gefühl, als schlösse sich das Wageninnere um sie. Die Hand auf den Mund gepresst, konnte sie nur eines denken, als Ross an den Straßenrand fuhr:
Ich darf nicht
 …
Nicht im Auto
 …
    Der Wagen kam mit einem Ruck zum Stehen. Sie öffnete den Sicherheitsgurt, fand den Türgriff, schob die Tür auf und taumelte hinaus in die kalte Nachtluft. Dann saß sie auf den Knien auf dem Asphalt und übergab sich.
    Augenblicke später lag Ross’ Hand auf ihrer Stirn. »Mein Baby, Liebling, ist ja alles gut.«
    Sie schwitzte, erbrach sich nochmals. Ross presste seine Handfläche fest gegen ihre Stirn, so wie es ihre Mutter getan hatte, als Faith ein Kind war. Dann wischte er ihr mit seinem Taschentuch den Mund ab.
    Als sie wieder im Wagen saß, der Sitz war zurückgestellt, die Heizung bis zum Anschlag aufgedreht, sagte Ross: »Wahrscheinlich der Meeresfrüchte-Cocktail. Verdorbene Garnelen oder dergleichen.«
    Sie wollte ihm entgegnen, dass er sich irre. Sie fühlte sich schon seit einigen Tagen so, aber sie hatte Angst, es anzusprechen, weil sie sich dann vielleicht erneut übergab. Sie lehnte sich zurück – um sie herum drehten sich das Dunkel und die Lichter, ihre Kontaktlinsen fühlten sich rau und unbequem an – und war sich der Bewegungen des Wagens und des sich ändernden Klangs der Reifen nur vage bewusst, während sie sich ihrem Zuhause näherten.
    Und einem Glas Wasser.
     
    Sie saß an dem breiten Kieferntisch vor dem gusseisernen Kaminofen und lauschte Rasputin, der irgendwo im Garten ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher