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Medizin für Melancholie

Medizin für Melancholie

Titel: Medizin für Melancholie
Autoren: Ray Bradbury
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hatte genickt, eine Hand erhoben, sie hatte gelächelt, er hatte rasch geblinzelt und sich sogar gegen sie verbeugt, auf der Straße, in der Hotelhalle, wenn er Freunde besuchte, und im Park, im Stadtzentrum. Auch jetzt nahm er die Hand aus der Tasche und winkte. Aber das reizende Mädchen ließ nur ihr dunkles Haar im Sommerwind fliegen. Er existierte nicht. Er war nichts.
    »Madre mía!« Er sah fort, die Straße hinunter, wo der Mann mit seinen beiden Freundinnen um die Ecke bog. »Ach, wenn ich doch nur einen Anzug hätte, nur einen! Ich brauchte kein Geld, wenn ich nur anständig aussähe!«
    »Ich empfehle dir ungern, bei Gómez vorbeizugehen«, sagte Villanazul. »Aber er hat seit Monaten allerhand dummes Zeug über Anzüge geredet. Ich sage immer, daß ich mitmache, nur, um ihn loszuwerden. Dieser Gómez!«
    »Na, mein Freund«, sagte eine ruhige Stimme.
    »Gómez!« Alle drehten sich um und starrten ihn an.
    Gómez zog mit seltsamem Lächeln eine endlose dünne gelbe Schnur hervor, die in der Sommerluft wirbelte und flatterte.
    »Gómez«, sagte Martínez, »was wollen Sie mit diesem Band?«
    Gómez strahlte. »Ich messe Knochengerüste.«
    » Knochengerüste?«
    »Bleib stehen.« Gómez blickte Martínez abschätzend an. »Caramba! Wie konntest du mir nur die ganze Zeit entgehen? Versuchen wir’s mal mit dir!«
    Martínez sah zu, wie sein Arm gepackt und das Band daran gehalten, sein Bein gemessen und seine Brust umschnürt wurde.
    »Halt still!« schrie Gómez. »Arm – perfekt. Bein – Brust – perfecto! Nun schnell die Größe! So! Ja! Einsfünfundsechzig! Komm, schlag ein! Du machst mit!« Er schüttelte Martínez heftig die Hand, dann hielt er plötzlich inne. »Warte. Hast du… zehn Dollar?«
    »Ich hab sie!« Vamenos schwenkte ein paar schmutzige Scheine. »Gómez, miß mich!«
    »Alles, was ich habe, sind neun Dollar und zweiundneunzig Cents.« Martínez durchsuchte seine Taschen. »Und das soll für einen neuen Anzug reichen? Wieso?«
    »Wieso? Weil du das passende Skelett hast, darum!«
    »Señor Gómez, ich kenne Sie doch kaum…«
    »Mich kennen! Du wirst bei mir wohnen! Komm mit!«
    Gómez verschwand im Billardzimmer. Martínez, von Villanazul höflich begleitet und von Vamenos eifrig vorwärtsgeschoben, landete ebenfalls drinnen.
    »Domínguez!« sagte Gómez.
    Domínguez stand an einem Wandtelefon und winkte ihnen zu. Aus dem Hörer kreischte eine weibliche Stimme.
    »Manulo!« sagte Gómez.
    Manulo, der sich gerade eine gluckernde Flasche Wein an den Mund hielt, drehte sich um.
    Gómez wies auf Martínez.
    »Endlich haben wir unseren fünften Freiwilligen!«
    Domínguez sagte: »Ich habe eine Verabredung, laß mich in Ruhe…« und brach das Gespräch ab. Der Hörer glitt ihm aus den Fingern. Sein kleines schwarzes Telefonbuch voll schöner Namen und Nummern glitt rasch in seine Tasche. »Gómez, du…?«
    »Ja, ja! Jetzt her mit eurem Geld! Ándale!«
    Die Frauenstimme schrillte immer noch aus dem herunterbaumelnden Telefon.
    Domínguez warf einen betretenen Blick darauf.
    Manulo betrachtete die leere Weinflasche in seiner Hand und das Schild des Spirituosenladens auf der anderen Straßenseite.
    Dann legten beide Männer widerstrebend je zehn Dollar auf den grünsamtenen Billardtisch.
    Der erstaunte Villanazul machte es genauso und ebenso Gómez, der Martínez einen Rippenstoß versetzte. Martínez zählte seine zerknüllten Scheine und das Bargeld auf den Tisch. Gómez schwenkte das Geld wie einen Royal Flush.
    »Fünfzig Dollar! Der Anzug kostet aber sechzig Dollar!«
    »Moment mal, Gómez«, sagte Martínez. »Ist hier von einem Anzug die Rede? Uno?«
    » Uno!« Gómez hob einen Finger. »Von einem wunderschönen Eiskremsommeranzug, wie der Augustmond!«
    »Aber wem gehört dieser Anzug dann?«
    »Mir!« sagte Manulo.
    »Mir!« sagte Domínguez.
    »Mir!« sagte Villanazul.
    »Mir!« schrie Gómez. »Und dir, Martínez. Kommt, wir wollen es ihm zeigen. Stellt euch auf!«
    Villanazul, Manulo, Domínguez und Gómez stürzten vor und postierten sich mit dem Rücken gegen die Wand des Billardzimmers.
    »Martínez, du auch, stell dich ans andere Ende! Nun, Vamenos, leg den Billardstock auf unsere Köpfe!«
    »Ja, Gómez, ja!«
    Martínez, der in der Reihe stand, fühlte, wie der Stock leicht seinen Kopf berührte, und beugte sich vor, um zu sehen, was geschah. »Ah«, sagte er verblüfft.
    Der Stock lag flach auf ihren Köpfen, ganz gerade, und Vamenos ließ ihn grinsend über sie
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