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Medienmuendig

Medienmuendig

Titel: Medienmuendig
Autoren: Paula Bleckmann
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verdrängt, andererseits wird die Zeit, die wir dadurch gewinnen, durch dieselben Geräte wieder besetzt. Hentig meint dazu: »Die Freizeit wird von der gleichentechnischen Kultur, ja fast von derselben Apparatur hier hergestellt und da totgeschlagen.« 34
    Um dieses Übel nicht zu vermehren, sondern ihm wirklich gegenzusteuern, fordert von Hentig, dass Lösungen umgesetzt werden, die dem eigentlichen Leben wieder mehr Raum geben:
     
    Wie könnte ich leugnen, dass es viele, unendlich viele Menschen gibt, die mit ihrer Zeit nichts anzufangen wissen, nicht nur alte, sondern gerade auch junge Leute! Aber sie muss man nicht lehren, mit der Freizeit umzugehen, sondern ihrem Leben überhaupt einen Zweck zu setzen – ihrer Arbeit, ihrem Verhältnis zu den anderen, zu sich selbst, zur Natur, … Wenn das eigentliche sinnerfüllte Leben nicht bewahrt wird, droht als Konsequenz bei noch so viel gutgemeinter Freizeiterziehung »die Vermehrung des uneigentlichen Lebens durch Pädagogik« (Hentig 1985, S. 360 ff)
     
    Spitzenreiter beim Fernsehkonsum sind in Deutschland übrigens gar nicht die Kinder oder Jugendlichen, auch wenn man sich darüber – zu Recht – so große Sorgen macht. Die Generation der über Fünfzigjährigen lag im Jahr 2010 mit 290 Minuten durchschnittlicher täglicher Fernsehnutzungszeit, also knappen 6 Stunden, ganz vorn. 35 Was ist davon zu halten, wenn ein selbstbestimmter, mündiger Erwachsener gegen die Besetzung seiner Freizeit durch Bildschirmmedien gar nichts einzuwenden hat, sondern sie sogar begrüßt? Ob man ihn zu seinem Glück zwingen und ihn drängen sollte, seine Bildschirmzeiten zu reduzieren? Fremdbestimmtheit zum Schutz vor Fremdbestimmtheit hört sich zunächst wie ein Widerspruch an. Andererseits sind Erwachsene, die viel fernsehen, nach neuesten Erhebungen tatsächlich unglücklicher als andere. So ist es jedenfalls bei den US-Amerikanern, stellten zwei Wissenschaftler fest, als sie eine über 34 Jahre reichende Datensammlung auf diese Frage hin untersuchten. »What do happy people do – Was tun glückliche Menschen?« Dazu untersuchten sie Zusammenhänge zwischen der Lebenszufriedenheit und der Häufigkeit,mit der die Befragten bestimmte Aktivitäten ausübten. Wer sich häufig mit Freunden, Nachbarn oder Verwandten traf, war im Schnitt glücklicher. Auch wer öfter einen Gottesdienst besuchte, öfter Sexualverkehr hatte, mehr Zeitung las und mehr Stunden erwerbstätig war, war im Durchschnitt glücklicher. Kontrollierte Variablen waren dabei Alter, Bildungsgrad und Familienstand. Nur zwei Tätigkeiten korrelierten negativ mit dem Glücksempfinden: Internetnutzung und Fernsehen. Allerdings ist in der Studie die Frage nach Ursache und Wirkung nicht zu beantworten: Macht mehr Bildschirmmedienkonsum unglücklich, oder sitzen unglückliche Menschen einfach länger vorm Bildschirm? Während des Fernsehens selbst fühlten sich die Befragten durchaus zufrieden, und damit ergeben sich Parallelen zu einer Abhängigkeitsproblematik (vgl. genauer Kap. 3). Suchterzeugende Tätigkeiten lösen momentane Glücksgefühle aus, aber langfristig Elend und Bedauern. 36
    Fassen wir zusammen, was Mündigkeit von Kompetenz unterscheidet: die große Bedeutung der Selbstbestimmtheit, das Element der Reifung, die Bedeutung von Zeitlassen und Muße und die Frage nach der Gefahr der missbräuchlichen Verwendung als Plastikwort.
     

KAPITEL 2
Den Kindern Raum und Zeit geben
    Wer hört denn noch in einer schnelllebigen Zeit wie der unsrigen den Ruf nach Muße, Geduld, Abwarten, Reifenlassen? Je schneller die Verhältnisse sich wandeln, desto eiliger scheinen es doch die Eltern und Pädagogen zu haben, Kinder auf die neuen Verhältnisse vorzubereiten. Gebe ich »Fit für die Zukunft« in der Internet-Suchmaschine Google ein, erscheinen fast eine halbe Million Treffer, vom Zukunftsfähigkeitsvergleich der deutschen Bundesländer über Vorträge auf dem Deutschen Unternehmertag bis zu Programmen zur Altbausanierung und zu Nachhilfeinstituten. Eben. Wer könnte denn auch
nicht
wollen, dass unsere Kinder, unsere Häuser, ja unser ganzes Land »fit für die Zukunft« werden?

Fit für welche Zukunft? – Nachhaltige, nicht nachhinkende Bildung
    »Eine kluge Gesellschaft hält ihre ›Fortschritts‹-Verliebtheit in Grenzen, wenn es um Pläne für die nachkommende Generation geht.« 37
    Fit für welche Zukunft eigentlich? Wenn wir heute über Fähigkeiten nachdenken, die wir den Bewohnern der Welt von morgen
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