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Medienmuendig

Medienmuendig

Titel: Medienmuendig
Autoren: Paula Bleckmann
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Freizeitpraxis« lesen sich wie Warenhauskataloge für Musik, Sport, Bastelarbeit, HiFi-, Video- und Filmtechnik und münden in Programmen wie »Mitgestaltung von Freizeitsendungen in Funk und Fernsehen«: in der Aufhebung der Freizeit durch sich selbst …
     
    Mit der Telematik sind die Pädagogen im Begriff, ähnlich zu verfahren: indem sie auf deren Tücken vorbereiten wollen, liefern sie (sich und) die Kinder ihr aus. 32
     
    Sehr hellsichtig, oder? Hentig ahnte bereits damals eine beunruhigende Tendenz voraus: Um auf den Umgang mit elektronischen Medien vorzubereiten, setzen heutige Medienpädagogen die Kinder den Medien aus. Je jünger die Kinder sind und je länger sie im Umgang mit den Medien geschult werden können,desto besser, lautet ihr Credo. Bei einem besonders krassen Beispiel verfehlter Frühförderung sehen Kinder Fernsehwerbung – im Kindergarten.
    Wenn Eltern nach dem Sinn einer solchen Maßnahme fragen, müssen sie sich belehren lassen, dies diene der Förderung von »Werbekompetenz«. Die werbetraktierten Kindergartenkinder lernen nämlich angeblich, Fernsehwerbung vom Fernsehprogramm zu unterscheiden. Mit Erfolg, wie den Eltern mitgeteilt wurde: Auf einer fünfstufigen Skala hatten einige Kinder das Werbekompetenzniveau 2 erreicht. Sie hatten beispielsweise eingepaukt bekommen, dass während der Werbung das Senderlogo fehlt. Wenn ein Kind das weiß, hat es Niveau 2 erreicht.
    »
Kein Kind hat Niveau 3 erreicht, was aufgrund der Komplexität der Struktur dieses Niveaus zu erwarten war«
,
kommentiert der Medienpädagoge Norbert Neuss, einer der Autoren der Studie. 33 Niveau 3 wäre dann erreicht, wenn ein Kind weiß, wer Werbung macht und woran man sie in ihren unterschiedlichen Formen erkennt. Aber warum erreicht denn trotz intensiver Förderung kein Kind Stufe 3, geschweige denn 4 oder 5? Die Antwort liegt auf der Hand: Kindergartenkinder sind für Niveau 3 zu jung!
    Dieses Beispiel veranschaulicht, dass ein Frühförderungswahn etliche Medienpädagogen ergriffen hat. Vorgeblich stärken solche Projekte die Medienkompetenz; in Wirklichkeit be- oder verhindern sie aber, dass Kinder medienmündig werden. Denn die Kinder wurden nicht auf ihrer Entwicklungsstufe wahrgenommen, sondern mit einer Sache konfrontiert, vor der man sie bewahren sollte: Werbung. Dennoch – auch diesem missglückten Projekt liegen zutreffende Fragen zugrunde: Kann ich mein Kind vor Werbung schützen, die »kindgerecht« daherkommt, tatsächlich aber auf subtile Weise immer aggressiver wird (vgl. auch Kap. 8)? Kann ich mein Kind gegen derartige Einflüsse immunisieren? Ein so kleiner Mensch versteht ja noch nicht, dass und wie er manipuliert wird.
    Die Grundlagen meiner eigenen heutigen Werbekompetenzhabe ich schon in jungen Jahren, aber durch Frühförderung ganz anderer Art erworben: beim Sonntagsfrühstück und durch Märchen, nicht durch Fernsehen im Kindergarten: Schon seit ich denken kann, gab es in meiner Familie den listigen Trick, dass wir Kinder sonntags die Frühstückseier leer aßen, heimlich umdrehten und den Eltern zum Essen anboten: »Schau mal, ich schenke dir noch ein zweites Ei.« Mein Vater schlug das Ei mit Schwung auf und spielte uns Kindern voll gespielter Entrüstung den getäuschten Kunden vor: »Nein so etwas! Da ist ja gar nichts drin!« Dieses Spiel begeisterte uns Kinder jedes Mal, und wir spielten es immer wieder. Meine Vorstellung von einer »Mogelpackung« geht auf diese frühkindlichen Erfahrungen zurück … Zweitens: Kann man
Des Kaisers neue Kleider
aus der Märchensammlung von Hans Christian Andersen nicht auch als Werbekompetenzförderung ansehen? Alle haben sich zunächst darauf verschworen, die neueste Mode des Kaisers über alle Maßen zu loben. Am Schluss traut sich nur das kleine Kind, herauszuposaunen, was eigentlich alle wissen: Er hat ja gar keine Kleider an! So kann es gehen mit der neuesten Mode.

Bedrohte Freizeit: Hier hergestellt und da totgeschlagen
    Durch Fernsehen und Computer laufen wir Gefahr, nicht nur im Bereich der Freizeit, sondern auch der Arbeit einen Sinnverlust zu erleiden, und wir könnten am Ende recht nackt dastehen, fast wie der Kaiser im Märchen. Das lässt sich als eine Art doppelte Entmündigung verstehen: Einerseits werden wir als Menschen durch die Automatisierung von Arbeitsprozessen aus sinnstiftenden Tätigkeiten, in denen wir uns verantwortlich und gebraucht fühlen, in die Erwerbslosigkeit oder die maschinenabhängige Erwerbstätigkeit
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