Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Medienmuendig

Medienmuendig

Titel: Medienmuendig
Autoren: Paula Bleckmann
Vom Netzwerk:
So ist der etwas makaber klingende Titel des Artikels zu verstehen: »Dying to play computer games – Fürs Leben gern Computerspiele spielen«
.
Sind denn die elektronischen Medien für Kinder und Jugendliche heute lebenswichtig?
    Hinter dieser Frage steckt mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Was bedeutet »lebenswichtig«? Keine Frage: Fernseher, Gameboy, Computer, Handy können unsere Kinder in ihren Bann ziehen, so sehr, dass sie immer noch mehr davon wollen, dass der Umgang mit diesen Geräten in vielen Familien zum ständigen Streitthema wird, in Extremfällen sogar so sehr, dass sie dafür ihren Vater bestehlen, ihre Mutter tätlich angreifen, Lehrer belügen, Freunde vernachlässigen oder, wie in einem tragischen Beispiel, die eigene Schwester erstechen. 5
    Kann man daraus folgern, dass Kinder und Jugendliche die elektronischen Medien 6 wollen, dass sie sie brauchen, dass sie für sie lebenswichtig sind? Diese Fragen sind weder mit Ja noch mit Nein befriedigend zu beantworten. Genau an diesem Punkt wissen viele Mütter und Väter, Erzieherinnen und Lehrer nicht mehr weiter.
    Also müssen wir die Frage anders formulieren: »Wie unterstützen wir in der Erziehung Kinder und Jugendliche darin, selbst zu entdecken, was sie wirklich wollen und was sie wirklich brauchen?«
Wirklich
wollen.
Wirklich
brauchen. Selbstbestimmte Entscheidungen setzen eine entwickelte, reife Urteilsfähigkeit voraus. Ein Kind muss eine solche Urteilsfähigkeit aber erst erwerben, was etliche Jahre dauern kann. Kleine Kinder müssen vor Fremdbestimmtheit in sensiblen Entwicklungsphasengeschützt werden, und zwar umso mehr, je kleiner sie sind. Wie können wir diesen Schutz gewährleisten?
    Jedenfalls darf man aus den schockierenden Zahlen nicht den vorschnellen Schluss ziehen, Kinder
wollten
fernsehen oder
brauchten
Gameboys. Wer ein Kind gut kennt und genau beobachtet, dem gelingt es, momentane Faszination von langfristigem Bedürfnis zu unterscheiden. Ein Kind kann das aber allein und von sich aus oft nicht oder noch nicht leisten. Wenn wir ihm dabei helfen, gelingt es ihm nach und nach immer besser und auch immer selbständiger.
    Wenn die dreijährige Claritta nur Bonbons und Eis essen oder der fünfjährige Bruno bei Minusgraden ohne Jacke nach draußen gehen will, ist die Entscheidung für den verantwortlichen Erwachsenen leicht. Hier
wollen
die Kleinen nach eigener Aussage etwas anderes, als ihnen gut tut, und wir als Erwachsene sorgen dafür, dass sie es nicht tun.
    Mit den Medien ist es gleichzeitig schwieriger und leichter als mit Bonbons oder Winterjacke: Eine konsequente Entscheidung wird ganz erheblich erschwert, weil die Schädigungen durch Medien meist nur indirekt erkennbar und weniger im Bewusstsein sind als die Schädigungen durch zu viel Süßes oder durch Unterkühlung.
    Andererseits ist es aber auch
leichter
beim Umgang mit Medien als mit Süßigkeiten, weil die Kinder sie überraschenderweise gar nicht so sehr wollen, wie man immer meint. So sieht es jedenfalls aus, wenn man anstelle der Werbebeauftragten der Medienkonzerne oder ihrer Undercover-Agenten in Politik oder Wissenschaft die Kinder selbst fragt. In einer aktuellen deutschlandweiten Repräsentativerhebung von Zehnjährigen war die
liebste
Freizeitaktivität der Kinder »draußen spielen«, die zweitliebste »mich mit Freunden treffen«.
Häufigste
Freizeitbeschäftigung ist aber das Fernsehen. 7 Auch unsere Jugendlichen hängen gar nicht so sehr an den Medien, sie sind nicht so medienaffin, wie man uns gern glauben machen will. Wenn man nämlich deutsche Jugendliche dazu befragt, in welchem Medium siesich am besten ausdrücken können, geben die meisten Jugendlichen nicht etwa an: »per SMS« oder »über Skype« oder »per E-Mail« oder »am Telefon«, sondern, man lese und staune, »im persönlichen Gespräch«. 8 Das bedeutet, dass die Vorlieben und Wünsche der Kinder mit ihren tatsächlichen Verhaltensweisen nicht immer übereinstimmen.
    Noch einmal: Was die Kinder und Jugendlichen am liebsten tun, ist in Wirklichkeit nicht dasselbe wie das, was sie am häufigsten tun. Kinder nutzen nicht nur mehr Bildschirmmedien, als ihre Eltern oder Lehrer es gutheißen 9 , sondern sie sind von Bildschirmen so fasziniert, dass sie mehr konsumieren, als sie selbst eigentlich wollen. Dass dies nicht nur für Kinder und Jugendliche zutrifft, wird sich der eine oder andere Erwachsene vielleicht schmunzelnd, vielleicht bestürzt eingestehen.
    Zur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher