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Medaillon des Schicksals (German Edition)

Medaillon des Schicksals (German Edition)

Titel: Medaillon des Schicksals (German Edition)
Autoren: Laura Thorne
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hintereinander, von unzähligen Trauben übersät. Noch waren die einzelnen Früchte klein, hart und von einem hellen, verschliffenen Grün. Doch in ein paar Monaten schon, wusste Rosaria, würde aus eben diesen Früchten der Wein gekeltert werden, den die Einheimischen das Blut der Toskana nannten und von dem sie schworen, dass es nirgendwo auf der Welt Köstlicheres gäbe: der Chianti.
    Ein Lachen ertönte am Anfang der Wagenkolonne und flog mit der Leichtigkeit einer Lerche von Wagen zu Wagen.
    Rosaria schreckte aus ihren Betrachtungen auf und lachte auch, noch bevor das Scherzwort sie erreichte. Raffael, wer sonst als Raffael, der Sohn des Feuerschluckers, war der Scherzbold.
    »Rosaria sitzt auf ihrem Wagen wie eine Statue«, hatte er den nachfolgenden Wagen zugerufen. »Wir müssen gut auf sie aufpassen, wenn wir nach Florenz kommen, sonst kauft Il Magnefico sie für seine Sammlung.«
    Florenz, dachte Rosaria sehnsüchtig, wie lange dauert es noch, bis wir dorthin kommen? Ob ich in diesem Jahr wohl endlich Lorenzo di Medici sehen werde, den alle ehrfurchtsvoll Il Magnefico nennen und dessen Kunstsammlung allerorten gerühmt wird?
    Sie seufzte wehmütig auf, dann fiel ihr Blick auf die Umrisse einer Stadt, die sich vor einem nahen Hügel abhoben. Schon von weitem waren die vielen Türme zu erkennen, die als Wahrzeichen von San Gimignano galten und bei klarer Sicht meilenweit zu sehen waren. Genau 72 Türme sollten es sein, und Rosaria machte sich – wie jedes Mal – die Mühe, sie zu zählen. Und wie jedes Mal, so verzählte sie sich auch heute. Die bis zu 70 Meter hohen Türme waren Wohntürme der einzelnen in San Gimignano beheimateten Adelsgeschlechter. Von diesen Türmen aus bekriegten sich die rivalisierenden Familien nunmehr seit Jahrhunderten. Ein Ende der zahlreichen Familienfehden war nicht in Sicht, und doch wichen die ersten Türme nun weit prachtvolleren Bauten. Rosaria war neugierig, wie sehr sich die Stadt seit dem letzten Besuch der Wagenkolonne vor genau einem Jahr verändert hatte.
     
    Eine Stunde später hatten die Händler, Schauspieler und Vaganten das Stadttor erreicht und reihten sich in die Schlange der Wartenden. Ringsum wimmelte es von Menschen. Vor ihnen stand der Wagen eines Abdeckers. Die Schlachtabfälle verströmten den elenden Geruch von Verwesung, doch die Wagenkolonne ließ sich dadurch die Stimmung nicht verderben. Auch hier machten Scherzworte die Runde; eine junge Bäuerin, die Tomaten zum Markt brachte, wurde von den Gauklern geneckt. Schmutzige Straßenjungs fielen über die Neuankömmlinge her wie Bienen über den Honig, sodass sich die Händler nur mühsam den jugendlichen Bettlern erwehren konnten. Eine Gruppe von Mönchen stand singend vor dem Tor, und eben wurde die Tochter des Bürgermeisters in einer Sänfte vorbeigetragen. Die Zollwächter hatten alle Hände voll zu tun. Zwei waren damit beschäftigt, eine kleine Herde Schafe zu zählen, ein anderer wog Salz, das ein Händler aus Florenz in die Stadt brachte. Der Händler schaute nervös auf die Waage und wandte sich dann an die Gaukler:
    »Seid froh, Ihr Leute, dass Ihr nichts zu verzollen habt! An jedem Stadttor denke ich, die Waage wäre entzwei, aber nein, es sind die Zölle, die schon wieder gestiegen sind. Arm werde ich beim Arbeiten, arm, jawohl.«
    Die Gaukler grinsten, und Raffael rief: »Weißt du es nicht? Wer arbeitet, hat keine Zeit zum Geldverdienen.«
    Die Umstehenden lachten. Noch während die Scherzworte fielen, fuhr der Abdecker still und heimlich seinen Wagen durch das Tor. Rosaria schaute hin – und stutzte. Hatte sie da nicht das Quieken eines Ferkels gehört? Sie schaute genauer hin, und jetzt entdeckte sie auch das winzige rosa Bündel zwischen den Schlachtabfällen, das versuchte, die Stricke abzustreifen, die um seine Haxen geschlungen waren. Der Abdecker sah, dass Rosaria gerade sein Betrugsmanöver entdeckt hatte und nun wusste, auf welche Art er den hohen Zöllen zu entgehen versuchte. Er zwinkerte ihr zu, holte aus seiner Joppe einen Apfel, wischte ihn am Ärmel blank und warf ihn ihr zu.
    Rosaria fing ihn geschickt auf und biss herzhaft hinein. Dann rief sie dem Abdecker lachend nach: »In diesem Fall kostet mein Schweigen nichts, sonst aber ist es unbezahlbar.« Doch der Abdecker war mit seinem Karren schon in einer kleinen Seitengasse verschwunden.
    Als die Kolonne endlich den Marktplatz erreichte, wurde sie bereits von einer jubelnden Menge empfangen.
    »Die Gaukler kommen, die
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