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Mea culpa

Mea culpa

Titel: Mea culpa
Autoren: Anne Holt
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Vorurteile wie die meisten anderen, davon ging sie aus, und laut diesen waren Asiatinnen entweder mager (und dann waren sie konturlos und hatten flache Brüste) oder dick (und dann waren sie kugelrund). Doch Rebecca hatte schwingende Formen, sie trug einen Rock und halbhohe Absätze, und sie wogte.
    In ihr eigenes Büro!
    Synne setzte das Hundebaby auf den Boden und hoffte aufs Beste. Dann überkam sie die Angst, dass Rebecca Hunde vielleicht verabscheute. Sie konnte doch ein Katzenmensch sein. Oder allergisch. Oder eine Paragraphenreiterin, die zutiefst empört darauf reagieren würde, dass eine Angestellte in einem staatseigenen Gebäude den offiziell anerkannten Vorschriften eine solche Missachtung entgegenbrachte.
    Doch Rebecca war sofort erobert. Als Synne den Kopf durch ihre Tür steckte und eine verzweifelte Miene aufsetzte, weil ihr der kleine Hund entwischt war, war Rebecca Schultz schon in die Hocke gegangen, und das Hundebaby hatte ihr zwei Pfoten aufs Knie gelegt und leckte ihr das Gesicht. Dieser Erfolg war fast nicht zu ertragen, und Synne Nielsen brach in einen Schluckauf aus.
    »Wie heißt denn dieser kleine Wicht?«
    Die Stimme war wunderschön. Sie sang.
    »Cetacea. Das bedeutet Wal. Hick.«
    »Was hast du gesagt?«
    »Der Hund. Er heißt – hick – Cetacea. Das ist Latein. Bedeutet Wal.«
    Synne Nielsen verachtete Menschen, die nicht in ganzen Sätzen reden konnten; Menschen, die mit einer Menge loser Wörter ohne Bedeutung dahinstolperten – irgendwie und gewissermaßen waren das die Schlimmsten – und die noch als Erwachsene nicht begriffen hatten, dass auch mündlich vorgetragene Sätze Subjekt, Prädikat und Objekt enthalten sollten.
    Aber ihr Schluckauf setzte ihr dermaßen zu, dass sie mit einer ihr überaus fremden Wortkargheit geschlagen war. Immer wenn Rebecca Schultz auf den Hund hinunterblickte, hielt Synne den Atem an und presste Luft in ihr Zwerchfell, aber das sorgte bei ihr nur für Watte in den Ohren. Außerdem merkte sie, dass ihr Gesicht rot anlief.
    »Ist dir noch immer schlecht?«, fragte Rebecca Schultz plötzlich.
    »Nur ein wenig Schluckauf«, erwiderte Synne Nielsen und schwenkte die eine Hand vor dem Gesicht, in der Hoffnung, die unnatürliche Röte vertreiben zu können.
    »Ich meine, wie am Freitag«, sagte Rebecca lächelnd. »Da ging es dir doch so schlecht.«
    Sie konnte sich an sie erinnern. Theoretisch wäre alles andere natürlich ein Skandal gewesen. Erst vor drei Tagen hatte sie sich vor Rebeccas Augen erbrochen, und Rebecca hätte doch an übermäßigem Stumpfsinn leiden müssen, wenn diese Szene hei ihr nicht einen gewissen Eindruck hinterlassen hätte. Aber dennoch … Rebecca Schultzens Erinnerung zeigte, dass Synne etwas erreichen könnte, dass sie etwas an sich hatte, das Rebecca aufgefallen war und das sie vielleicht gern etwas genauer untersuchen wollte.
    Die Art, wie sie in die Hände klatschte … Synne sah sich Rebeccas Hände an. Sie waren groß, etwas zu groß für diesen weiblichen Körper; breite Handrücken mit einem trockenen, feinen Hautmuster, die vier Kindern die Windeln gewechselt hatten. Synne wusste, dass Rebecca vier Kinder hatte. Darüber hatte eine Illustrierte berichtet. Mit Bildern. Die Kinder waren eher niedlich als schön, und die Bilder hatten gezeigt, dass sie lieber nicht fotografiert werden wollten.
    Rebeccas Finger waren nicht lang, sie waren eigentlich gerade richtig, mit der dazupassenden Nagellänge und ohne Ringe. Keine Ringe! Gab es bei ihr vielleicht Eheprobleme?
    Ihre Hände waren überaus anziehend. Sie strich damit in langen, langsamen Zügen über den Hundeleib, genau in der richtigen Stärke, so wie es nur eine kann, die Hunde liebt und kennt.
    »Eigentlich bin ich ein Katzenmensch«, erklärte sie. »Und wie ein Wal sieht sie nun nicht gerade aus. Witziger Name! Schön.«
    »Darin gibt es zwei S«, sagte Synne. »Oder eher zwei C . Aber das kommt ja aufs Selbe raus. Das S ist ein Laut, den Hunde leicht registrieren. In einem Hundenamen sollte immer mindestens ein S vorkommen.«
    Der Schluckauf war verflogen.
    »Interessant«, sagte Rebecca, ohne einen Hauch von Ironie.
    Dann setzte sie Cetaceas Pfoten auf den Boden, richtete sich auf, strich mit den Händen (sie waren wirklich ungeheuer anziehend, sie sahen weich und fest zugleich aus, sie wirkten so zielstrebig, es war fast unmöglich, nicht an Sex zu denken, wenn sie sie so vor sich sah) über ihren Rock, um sich von Hundehaaren zu befreien, dann trat sie zwei
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