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Matto regiert

Matto regiert

Titel: Matto regiert
Autoren: Friedrich Glauser
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plötzlich besserten; zwei Fälle, die schon zehn Jahre in der Anstalt waren, Unheilbare, wie es uns schien, konnten sogar, nachdem sie den Typhus überstanden hatten, entlassen werden. Das brachte mich auf die Idee, eine Ansteckung hervorzurufen. Ich habe es nur an Patienten versucht, die mindestens zehn Jahre interniert waren, deren Zustand sich gleichgeblieben war und bei denen auch wirklich kein Funken Hoffnung bestand, daß sie sich jemals bessern würden…
    Ich habe es offen getan, meine Kollegen wußten davon, die Sache wurde vor einem Jahre am Rapport verhandelt… Der Versuch war nicht gefährlicher als beispielsweise eine Schlafkur… Bei Schlafkuren rechnen wir mit einer Sterblichkeit von fünf Prozent… Höher ist sie auch nie bei den Typhusversuchen gewesen…
    Ich habe Ihnen gesagt, daß die Sache am Rapport besprochen worden war: der verstorbene Direktor hatte sich einverstanden erklärt… Um Ihnen das Verhalten des Direktors in den letzten Monaten zu erklären, müßte ich Ihnen einen Kurs über Adernverkalkung und eine Geisteskrankheit halten, die wir senile Demenz nennen – mit deutschen Worten: Greisenirrsinn… In ihrem Anfangsstadium ist diese Krankheit nicht recht zu erkennen… Sie beginnt schleichend… Mir war es unmöglich, eine Krankengeschichte des Borstli Ulrich, Dr. med., Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Randlingen, anzulegen… Wir konnten den alten Mann nicht internieren lassen, wir versuchten ihm zuzusprechen, sich doch pensionieren zu lassen… Er wollte nicht… Bei der senilen Demenz ist stets Starrköpfigkeit, Uneinsichtigkeit festzustellen – aber auch Verfolgungsideen können auftreten… Der alte Direktor fühlte sich von mir verfolgt. Früher kamen wir ausgezeichnet miteinander aus. Er war froh, daß ich ihm viel Arbeit abnahm, er war einverstanden, wenn ich Neuerungen vorschlug… In der letzten Zeit glaubte er, ich wolle ihn blamieren – ihn aus seiner Stelle drängen – ihn internieren lassen… Daher sein Haß gegen mich…
    Was sollte ich tun? Gerade zu der Zeit, da die Anzeichen der Geisteskrankheit bei unserem alten Direktor immer deutlicher wurden, machte ich die Bekanntschaft des Herbert Caplaun. Der Jutzeler, der Ihnen gestern geholfen hat, war durch seine Frau weitläufig mit ihm verwandt. Der Jutzeler bat mich, mich des Herbert anzunehmen. Ich wollte es mir überlegen, sagte dem Jutzeler aber, er möge mir den jungen Mann einmal bringen. Er war Musiker, der Herbert. Er hat Lieder komponiert. Er brachte damals ein Lied mit; es waren Verse eines deutschen Dichters, die er vertont hatte… Das Lied gefiel uns, nicht wahr, Greti?«
    Frau Laduner nickte müde.
    »Er war wie der Leibundgut, den ich Ihnen gezeigt habe, Studer; er trank, der Herbert; ich ließ ihn während zwei Monaten auf dem B. Sie haben das ja herausgefunden… Sie haben seine Freundschaft mit Pieterlen entdeckt, seine Freundschaft mit Gilgen… Er war ein lieber Mensch, der Herbert Caplaun… Dann nahm ich ihn in Privatbehandlung. Ich konnte es nicht vermeiden, daß er von der Spannung erfuhr, die zwischen mir und dem Direktor herrschte… Caplaun hat versucht, so glaubten Sie, seine Dankbarkeitsschuld abzutragen, indem er den Direktor ermordete, und alles spricht gegen ihn: der Sandsack, den Pieterlen ihm verschafft hat, das Telephongespräch am Abend der Sichlete… Aber, Studer, ist Ihnen nicht eines aufgefallen? Glauben Sie wirklich, der alte Direktor, mißtrauisch, wie er war (und seine Krankheit hatte ihn noch mißtrauischer gemacht), glauben Sie, der alte Direktor wäre so ohne weiteres an ein Rendezvous gegangen? Mißtrauisch, wie er war? Glauben Sie das wirklich, Studer?«
    Schweigen. Frau Laduner hatte die Augen weit geöffnet und starrte ängstlich auf ihren Mann.
    »Es hat einer nachgeholfen… Wer? Drei Männer kommen in Betracht, drei Männer, die den Direktor zwischen dem Telephongespräch und seinem Gang in die Heizung hatten sprechen können… Drei Männer – und eine Frau. Nun, die Frau scheidet aus. Bleibt: 1. Ich (bitte wehren Sie nicht ab, ich hatte ein Interesse), 2. Jutzeler und 3. der Portier Dreyer… Meine Frau wird Ihnen bestätigen können, daß ich in der Nacht vom 1. zum 2. September meine Wohnung ein Viertel vor eins verlassen habe und erst gegen halb drei wieder zurückgekommen bin. Gerade früh genug, um aufs B gerufen zu werden: der Patient Pieterlen war entwichen. Was habe ich in dieser Zeit gemacht? Ein Nachtwächter hat mich an der Türe der Heizung
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