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Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn
Autoren: K Marlantes
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freiwillig gemeldet, das arme Schwein. Das wird ihm sehr viel länger nachhängen als eine schlechte Eignungsbeurteilung. Und ich hab ein schlechtes Gewissen, weil es mir Spaß macht, Leute umzubringen.«
    Hawke lachte leise. »Wenigstens bist du dir darüber im Klaren. Gefährlich sind die Leute, die das nicht wissen. Davon gibt’s da draußen in der Welt mindestens zweihundert Millionen. Die Grundausbildung macht uns nicht zu Killern. Sie verpasst uns bloß den letzten Schliff.« Er stieß ein bitteres Lachen aus. »Da fällt mir meine Ex-Squaw ein, die mir gesagt hat, es wäre für sie rational nicht nachzuvollziehen – so hat sie sich ausgedrückt – rational nicht nachzuvollziehen, dass jemand wie ich nach Vietnam gehen könnte, ganz gleich was für Folgen das hätte. Das war, kurz bevor sie zum Studieren nach Europa gegangen ist und ihren neuen Freund kennengelernt hat.«
    Mit einer Hand zerknautschte Hawke die Bierdose, die er hielt. Er begann, sie zu knicken, verdrehte und verbog sie. Mellas blieb stumm. »Keiner von denen hat je das wilde Tier kennengelernt, das in uns steckt«, fügte er hinzu. »Wir schon.«
    »So ist das«, sagte Mellas.
    Hawkes Stimme wurde immer leiser. »Vielleicht könnten wir gegenüber einen Vergnügungspark aufmachen, mit einem Fahrgeschäft namens Das Wilde Tier.« Die Füße auf dem Boden, lag er mit geschlossenen Augen schräg auf der Pritsche.
    »Du pennst gleich, Jayhawk«, sagte Mellas sanft.
    »Von wegen«, murmelte Hawke. »Ich ruh bloß meine Augen aus.«
    Beide lachten über den alten Witz. Dann wurde Hawkes Atem langsam und regelmäßig.
    »Hey«, sagte Mellas. »Jayhawk.«
    »Hmm.«
    Mellas hob Hawkes Füße auf die Pritsche, deckte ihn mit einem Ponchofutter zu und blies die Kerze aus. Das Zelt wurde in Schwärze getaucht. Durch Regen und Dunkelheit ging Mellas zurück zum Versorgungszelt der Bravo-Kompanie und wickelte sich in sein Ponchofutter. Er schlief auf den Metallmatten des Fußbodens ein, während er dem Ächzen und Schnaufen der schlafenden Fremden lauschte, die sein Leben bald aufs Engste mit ihm teilen würden.
    Jemand rüttelte ihn wach.
    »Scheiße, was ist denn?«, flüsterte er mit furchtbaren Kopfschmerzen.
    »Ich bin’s, China, Sir.«
    »Verdammt noch mal, China, was wollen Sie?« Mellas wälzte sich herum. Sein verletztes Auge pochte noch schlimmer als sein Kopf. Er fragte sich, was er mit der Augenklappe angestellt hatte, ob er sie irgendwo verloren hatte. Dann stellte er fest, dass sie nach oben verrutscht war.
    »Lieutenant Mellas, Sie müssen was tun. Heute Nacht gibt’s Ärger.«
    »Was soll das heißen?«
    »Das soll heißen, ich glaube, dass jemand gekillt wird«, flüsterte China.
    Hinter China, außerhalb des Zelts, hörte Mellas ein scharrendes Geräusch. Dann wurde ein Streichholz angezündet, und er sah Mole, der eine Kerze anzündete. Moles Gesicht war, wie das von China, angespannt und besorgt.
    Mellas sagte: »O Scheiße, ich muss pissen. Einen Moment.« Er stellte sich außerhalb des Zelteingangs und pinkelte in die Dunkelheit und die Kälte. Als er zurückkam, unterhielten sich China und Mole in leisem Flüsterton miteinander. Die anderen schliefen tief und fest, mit Ausnahme des neuen Lieutenants, der die drei aus großen Augen anstarrte, sich aber heraushielt. Mellas ging mit den beiden nach draußen.
    »Also, was ist los?«, flüsterte Mellas. Er war vollständig bekleidet, denn er hatte sich nicht ausgezogen, als er auf dem Boden zusammengesackt war.
    »Es geht um Cassidy, Sir«, sagte China. »Ich glaube, die wollen ihn heute Nacht kaltmachen. Ich wollte bloß einen Blindgänger zu ihm reinwerfen, damit er weiß, was Sache ist, aber die wollen ihn stattdessen allemachen. Die sagen, so’n Scheißblindgänger bringt überhaupt nichts.«
    »Aber Cassidy ist in Quang Tri«, sagte Mellas. »Was kann ich denn da machen, Scheiße noch mal?«
    »Nein, ist er nicht, Sir. Er ist wieder da. Wir haben heute Nacht Licht bei ihm gesehen.«
    Chinas Worte ließen Mellas schlagartig gerade stehen. »Mein Gott«, flüsterte er. »Der Jayhawk ist da drin.«
    Entsetzt sah Mole China an. »Deswegen haben wir ihn nicht finden können.«
    Mellas rannte los. Er konnte nur noch daran denken, Hawke von Cassidys Pritsche wegzuholen. Ihm war übel, und er wollte sich übergeben, rannte jedoch weiter.
    Mole, dessen lange Beine sich noch rascher bewegten, flog an ihm vorbei, legte alle Kraft in seinen Sprint, um Hawke zu erreichen. China, der
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