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Marissa Blumenthal 02 - Trauma

Titel: Marissa Blumenthal 02 - Trauma
Autoren: Robin Cook
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modernes Gerät in dieser Klinik zu sehen, war eine Überraschung. Alles andere, was sie bisher gesehen hatten, war stark veraltet und unzureichend gewesen.
    Sie trat an den Tisch und fuhr mit den Fingern zerstreut über die Fußstützen. »Wie kommt denn dieser Untersuchungstisch hierher?« fragte sie.
    »Auf dieselbe Weise wie alle anderen Geräte«, sagte Tse. »Die meisten Landkliniken haben so einen Tisch.«
    Marissa nickte scheinbar verständnisvoll. In Wirklichkeit leuchtete ihr die Erklärung überhaupt nicht ein. Es erschien ihr merkwürdig, daß man zur Versorgung der Kliniken unter allen Arten moderner Geräte ausgerechnet einen Untersuchungstisch mit Fußstützen ausgewählt hatte. Aber da sie viel über bürokratische Fehlentscheidun-
    gen kommunistischer Regierungen gelesen hatte, nahm sie an, daß es sich hier um einen solchen Fall handelte.
    »Wir benutzen diesen Tisch häufig«, sagte Tse. »Die Regierung hat der Geburtenkontrolle einen hohen Vorrang eingeräumt.«
    »Aha«, sagte Marissa. Sie wollte schon weitergehen, aber der Tisch beschäftigte sie noch immer. »Welche Art von Geburtenkontrolle wenden sie denn vorzugsweise an?« fragte sie. »Intrauterinmittel?«
    »Nein«, sagte Tse.
    »Pessare?« fragte Marissa, obgleich ihr klar war, daß Pessare nicht in Frage kamen, da sie zu teuer und obendrein nicht hundertprozentig wirkungsvoll waren. Aber woher hatten sie diesen Tisch für Untersuchungen der inneren Geschlechtsorgane?
    »Wir sterilisieren«, sagte Tse. »Viele Frauen werden nach dem ersten Kind sterilisiert. Manchmal sterilisieren wir auch schon kinderlose Frauen, wenn sie es wünschen oder wenn es nicht ratsam erscheint, daß die Frau ein Kind zur Welt bringt.«
    Tristan rief aus dem nächsten Zimmer nach Marissa, aber sie reagierte nicht darauf. Sie hatte zwar schon davon gehört, daß man zur Geburtenkontrolle in China die Sterilisation anwandte. Aber einen Arzt so kaltblütig darüber sprechen zu hören, ging ihr gegen den Strich. Sie hätte gern gewußt, wer die Entscheidung traf, ob eine Frau ein Kind zur Welt bringen durfte oder nicht. Die Haltung des Arztes verletzte ihr weibliches Empfinden.
    »Wie sterilisieren sie die Frauen?« fragte sie.
    »Wir verschließen die Eileiter«, antwortete Tse sachlich.
    »Unter Narkose?« fragte Marissa.
    »Narkose ist unnötig«, sagte Tse.
    »Wie ist das möglich?« fragte Marissa. Um die Eileiter zu verschließen, mußte der Gebärmutterhals erweitert werden, und das war eine unerträglich schmerzhafte Prozedur.
    »Für uns Landärzte ist das einfach«, erklärte Tse. »Wir benutzen einen sehr kleinen Katheter mit einer Drahtführung. Wir brauchen dabei gar nichts zu sehen. Wir machen es nach Gefühl. Für die Patientin ist es überhaupt nicht schmerzhaft.«
    »Marissa!« rief Tristan. Er war zurückgekommen und stand auf der Schwelle des Untersuchungszimmers. »Komm doch mal raus und sieh dir den Garten an! Sie züchten hier ihre Heilmittel selber!«
    Aber Marissa winkte ihm ungeduldig ab und starrte Tse an, während sich in ihrem Kopf die Gedanken jagten. »Beherrscht Chili diese Technik auch?« fragte sie.
    »Bestimmt«, sagte Tse. »Alle Landärzte erlernen sie.«
    »Wenn Sie die Eileiter durchstoßen haben«, fragte Marissa, »was benutzen sie dann zur Sterilisation?«
    »Im allgemeinen eine ätzende Kräuterlösung«, sagte Tse. »Sie ist wie eine Art Pfeffer.«
    Tristan kam auf Marissa zu. »Was ist passiert, meine Liebe?« fragte er. »Du siehst aus, als wäre dir ein Gespenst erschienen.«
    Ohne ein Wort ging Marissa schnell wieder zu dem Glasschrank im Behandlungszimmer und betrachtete prüfend das Regal mit den Impfstoffen.
    Tristan folgte ihr mißtrauisch, packte sie an den Schultern und drehte sie herum, so daß sie ihn ansehen mußte. »Marissa, ist bei dir alles okay?«
    »Mir fehlt nichts«, sagte Marissa. »Aber weißt du was, Tristan? Ich glaube, ich habe das Rätsel gelöst. Urplötzlich ist mir alles klar geworden. Und wenn ich recht habe, ist alles noch viel schlimmer, als wir es uns vorgestellt haben.«  
    Das Klinikfahrzeug brachte die vier nach Shigi und setzte sie am Busbahnhof ab. Da nach Forshan häufig Busse fuhren, brauchten sie nur kurze Zeit zu warten. Während der Fahrt saßen Marissa mit Tristan, Bentley mit Tse zusammen.
    »Ich habe noch nie jemand so viel spucken sehen wie diese Chinesen«, sagte Tristan, um Konversation zu machen. Übrigens stimmte es. Jeden Augenblick bereitete irgendeiner im Bus sich auf
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