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Marina.

Marina.

Titel: Marina.
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Einsamkeit und wie ich, ehe ich sie beide getroffen hatte, das Gefühl gehabt hatte, ganz zufällig auf der Welt und in dieser verloren zu sein. Ich sprach von der Angst, es erneut zu sein, wenn ich sie beide verlöre. Germán hörte zu und verstand. Er wusste, dass meine Worte nur ein Versuch waren, mir meine eigenen Gefühle zu erklären, und ließ mich gewähren.
    Ich habe eine ganz besondere Erinnerung an Germán Blau und die Tage, die wir in seinem Haus und auf den Krankenhausgängen teilten. Wir wussten beide, dass uns nur Marina vereinte und dass wir unter anderen Umständen nie auch nur ein Wort gewechselt hätten. Immer dachte ich, Marina sei nur dank ihm geworden, was sie war, und ich habe keinen Zweifel, dass ich das wenige, was ich bin, ebenfalls mehr ihm verdanke, als zuzugeben mir lieb ist. Seine Ratschläge und Worte habe ich in der Schatulle meiner Erinnerung eingeschlossen, in der Überzeugung, dass sie mir eines Tages dazu dienen werden, auf meine eigenen Ängste und Zweifel Antworten zu finden.
     
     
    In diesem März regnete es fast täglich. Marina schrieb die Geschichte von Michail Kolwenik und Ewa Irinowa in das Buch, das ich ihr geschenkt hatte, während Dutzende Ärzte und Assistenten mit Tests, Analysen und noch mehr Tests und Analysen kamen und gingen. Da erinnerte ich mich an das Versprechen, das ich Marina einmal gegeben hatte, in der Standseilbahn nach Vallvidrera, und begann an ihrer Kathedrale zu arbeiten. In der Internatsbibliothek fand ich ein Buch über die Kathedrale von Chartres und fing an die Teile des Modells zu zeichnen, das ich bauen wollte. Zuerst schnitt ich sie in Halbkarton aus. Nach tausend Versuchen, die mich beinahe zur Überzeugung brachten, ich wäre nie in der Lage, auch nur eine schlichte Telefonzelle zu entwerfen, beauftragte ich einen Schreiner in der Calle Margenat, die Teile aus dünnen Holzplatten auszusägen.
    »Was baust du da, mein Junge?«, fragte er interessiert. »Einen Heizkörper?«
    »Eine Kathedrale.«
    Marina verfolgte neugierig, wie ich auf dem Fenstersims ihre kleine Kathedrale aufbaute. Manchmal machte sie Scherze, die mich tagelang nicht schlafen ließen.
    »Beeilst du dich auch nicht zu sehr, Óscar? Es wirkt, als erwartest du, dass ich morgen sterbe.«
    Bei den anderen Patienten des Zimmers und deren Besuchern wurde meine Kathedrale bald populär. Doña Carmen, eine vierundachtzigjährige Sevillanerin, die im Nebenbett lag, warf mir allerdings skeptische Blicke zu. Sie war von einer Charakterstärke, die eine Armee aufbrechen konnte, und hatte einen Hintern von den Ausmaßen eines Fiat Seicento. Sie kommandierte das Krankenhauspersonal mit Pfiffen herum. Sie war Schwarzhändlerin, Chansonsängerin, Flamencotänzerin, Schmugglerin, Köchin, Tabakverkäuferin und weiß Gott was noch alles gewesen und hatte zwei Ehemänner und drei Kinder überlebt. Eine Schar von zwanzig Enkeln, Neffen und weiteren Verwandten besuchte sie und betete sie an. Sie wies sie in die Schranken mit den Worten, Flausen seien für Dummköpfe. Ich hatte immer den Eindruck, Doña Carmen habe sich im Jahrhundert geirrt und Napoleon wäre, wenn es sie damals gegeben hätte, nie über die Pyrenäen hinausgekommen. Alle Anwesenden außer der Diabetes waren derselben Meinung.
    Auf der anderen Seite des Zimmers befand sich Isabel Llorente, eine wie ein Mannequin aussehende Dame, die nur flüsterte und einer Modezeitschrift aus der Vorkriegszeit entsprungen schien. Sie brachte den Tag damit zu, sich zu schminken und mit Hilfe eines kleinen Spiegels die Perücke zu richten. Die Chemotherapie hatte ihr das Haar geraubt, doch sie war überzeugt, dass niemand das wusste. Wie ich erfuhr, war sie 1934 Miss Barcelona und später die Geliebte eines Bürgermeisters der Stadt gewesen. Immer erzählte sie von einer Romanze mit einem tollen Spion, der sie jeden Augenblick von diesem schrecklichen Ort erretten käme, an den man sie verbannt habe. Doña Carmen verdrehte jedes Mal die Augen, wenn sie sie hörte. Nie wurde sie von jemandem besucht, und man brauchte ihr bloß zu sagen, wie hübsch sie sei, um sie für eine ganze Woche zum Lächeln zu bringen. An einem Donnerstagnachmittag Ende März traten wir ins Zimmer und fanden ihr Bett leer. Isabel Llorente war am nämlichen Morgen gestorben, ohne dass ihr Galan Zeit gehabt hätte, sie zu erlösen.
    Die dritte Patientin im Zimmer war Valeria Astor, ein Mädchen von neun Jahren, das nur dank einem Luftröhrenschnitt atmen konnte. Immer
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