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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1
Autoren: Gary Jennings
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ich einen Blick in unser Buch, Luigi, sehe ich mich als Knaben, dann als Jüngling und später als Mann; selbst am Ende des Buches bin ich immer noch ein strammes Mannsbild. Schaue ich jedoch in den Spiegel, erblicke ich einen betagten Fremden, gebeutelt und gebeugt, ausgelaugt und geschwächt vom Rostfraß meiner fünfundsechzig Jahre. Leise murmele ich: »Dieser alte Mann kann nicht noch mal in die Ferne ziehen«, und dann wird mir klar: Dieser alte Mann ist Marco Polo.
    Dein Brief hat mich also in einem verwundbaren Augenblick erreicht. So bietet dein Vorschlag, zu einem neuen Buche beizutragen, eine Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lassen will. So ich schon nicht die Dinge wiederholen kann, die ich einst getan, kann ich mich ihrer zumindest erinnern und mich in ihnen sonnen, zumal das in der Larve deines Bauduin ungestraft geschehen kann. Vielleicht verwundert es dich, dass ich diese Verkleidung so begrüße, so wie dich meine Bemerkung weiter oben erstaunt hat, das frühere Buch habe mir sowohl unverdiente Bekanntheit und nicht minder unverdiente Berüchtigtheit eingetragen. Laß mich das erklären.
    Ich habe nie behauptet, der erste Mensch gewesen zu sein, der aus dem Westen in den Fernen Osten gereist ist; du hast auch derlei ruhmsüchtige Behauptungen in unserem Buch nicht aufgestellt. Gleichwohl scheint das der Eindruck zu sein, der bei den meisten Lesern entstand -zumindest bei jenen Lesern, die nicht in Venedig leben, wo man solchem Wahn nicht frönt. Schließlich waren mein eigener venezianischer Vater und Onkel gen Osten gereist und von dorther zurückgekehrt, bevor sie die Reise wiederholten und mich bei dieser Gelegenheit mitnahmen. Überdies bin ich im Osten selbst manch anderem Abendländer begegnet, und zwar Angehörigen aller möglichen Nationen, von Engländern bis Ungarn, welchselbige vor mir dorthin gekommen waren und von denen etliche länger dort blieben als ich.
    Doch schon lange vor ihnen waren viele andere Europäer über dieselbe Seidenstraße gezogen, der ich folgte. Da war der spanische Rabbi Benjamin aus Tudela, der Franziskanerbruder Zuäne von Carpini und der flämische Mönch Wilhelm van Ruysbroeck; gleich mir haben alle diese Männer Berichte über ihre Reisen veröffentlicht. Bereits vor sieben-oder achthundert Jahren sind Missionare der Nestorianischen Christlichen Kirche bis nach Kithai vorgedrungen, wo noch heute viele ihr mühseliges Werk verrichten. Selbst in vorchristlicher Zeit muß es Händler aus dem Abendland gegeben haben, die zwischen dem Osten und dem Westen hin-und herzogen. Es ist bekannt, dass die Pharaonen des Alten Ägypten Seide aus dem Osten trugen, und auch im Alten Testament wird die Seide an drei Stellen erwähnt.
    Zahlreiche andere Dinge sowie die Wörter, mit denen sie bezeichnet werden, haben lange vor meiner Geburt Eingang in unsere venezianische Sprache gefunden. Eine Reihe öffentlicher Bauten in unserer Stadt sind innen wie außen mit jener Art von filigranartigem Rankenwerk geschmückt, das wir von den Arabern übernommen und von alters her Arabesken genannt haben. Der mörderische sassin leitet seinen Namen von den persischen Haschishyin her, Männern, die in religiösem Rausch töten, der durch die Droge Haschisch hervorgerufen wird. Die Herstellung jenes billigen, glänzenden Gewebes, das wir indiana nennen, haben wir aus Indien, wo diese Stoffart Chintz genannt wird und deren Bewohner zu unserem venezianischen Ausdruck far l'Indian anregten, sich unfaßlich dumm anstellen.
    Nein, ich bin nicht der erste, der gen Osten zog und von dorther zurückkehrte. Insoweit mein Ruhm auf der irrtümlichen Annahme beruht, ich sei das gewesen, habe ich ihn in der Tat nicht verdient. Noch weniger freilich mein Berüchtigtsein, denn das beruht auf der weitverbreiteten Annahme, ich sei unaufrichtig und hätte nicht wahrheitsgetreu berichtet. Du und ich, Luigi, wir haben nur jene Beobachtungen und Erlebnisse in dem Buche festgehalten, von denen wir meinten, dass sie glaubhaft seien; trotzdem glaubt man mir nicht. Hier in Venedig schimpft man mich höhnisch Marco Milioni -ein Beiname, der nicht auf großen Reichtum an Dukaten hinweisen soll, sondern auf meinen, dem Vernehmen nach unerschöpflichen Schatz an Lügen und Übertreibungen. Das amüsiert mich eher, als dass es mich ärgert; meine Frau jedoch und die Töchter kränkt es sehr, dass man sie Dona und Damine Milioni ruft.
    Daher meine Bereitwilligkeit, die Larve deines erfundenen Bauduin anzulegen, wenn
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