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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1
Autoren: Gary Jennings
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mich zu Papier bringen. Das Schreiben geht mir mühelos von der Hand, und Erfahrung darin habe ich auch. Eure Erzählungen könnten ein stattliches Buch ergeben, Messer Marco, und dann könnten viele, viele Menschen mit eigenen Augen lesen, was Ihr alles erlebt habt.«
    Welchselbiges ich tat. Und du tatest, wie versprochen; woraufhin viele, viele Menschen diese Dinge haben lesen können. Wiewohl eine ganze Reihe von Reisenden vor mir über ihre Erlebnisse geschrieben hatten -keines ihrer Werke hat sich je einer so unmittelbaren und anhaltenden Beliebtheit erfreut wie unsere Weltbeschreibung. Vielleicht, Luigi, hat das daran gelegen, dass es dir gefallen hat, meine Worte auf französisch wiederzugeben, der verbreitetsten Sprache im Abendlande. Vielleicht aber hast du die Geschichten auch besser niedergeschrieben, als ich sie habe erzählen können?
    Auf jeden Fall wurde unser Buch zu meiner nicht geringen Überraschung viel gelesen; es wurde viel darüber geredet und war sehr gesucht. Es wurde abgeschrieben und abermals abgeschrieben und ist nunmehr in jede andere Sprache übersetzt worden, die man in der Christenheit spricht. Auch von diesen Ausgaben sind zahllose Abschriften angefertigt und in Umlauf gebracht worden.
    Doch in keiner von ihnen steht die einzigartige Geschichte von
    dem unseligen Hindu, der sich an einem Felsen vergeht. Als ich in dem modrigen Gefängnis in Genua saß, abermals meine Erlebnisse erzählte und du sie in wohlgesetzten Worten niederschriebst, kamen wir überein, sie nur in hochanständiger Rede wiederzugeben. Du warst der Rustichello aus Pisa und ich ein Polo aus Venedig. Du warst der romander courtois und genössest bereits einen gewissen Ruf als jemand, der die klassischen Ritterepen von Tristan und Isolde, Lancelot und Ginevra sowie Amys und Amyllion neu erzählt hatte. Ich war, wie du mich in dem Buch auch beschrieben hast, repräsentativ für die »sajes et nobles citaiens de Venece«, die ›weisen und edlen Bürger Venedigs‹. Infolgedessen kamen wir überein, dass die Seiten nur jene meiner Abenteuer und Beobachtungen enthalten sollten, die wir ihnen ohne zu erröten und ohne etwelche andere Bedenken anvertrauen konnten, die man also lesen konnte, ohne die christlichen Gefühle der Leser zu verletzen, und seien dies auch unverehelichte Damen oder Nonnen. Des weiteren beschlossen wir, alles aus dem Buch herauszulassen, was die Gutgläubigkeit des Lesers, der nie aus seiner Heimat herausgekommen ist, über Gebühr auf die Probe stelle. Ich entsinne mich noch, wie wir darüber stritten, ob man meine Begegnung mit dem Stein, der brennt, und dem Gewebe, das nicht brennt, mit hereinnehmen solle oder nicht. So blieben viele der wunderlichsten Zwischenfälle auf meinen Fahrten gleichsam auf der Strecke. Wir ließen alles Unglaubwürdige, alles Unzüchtige und Skandalöse heraußen. Jetzt jedoch teilst du mir mit, du würdest diese Lücken gern schließen -ohne indessen meinen guten Namen in Verruf zu bringen.
    Dein neuer Held soll also Monsieur Bauduin heißen und nicht Messer Marco; außerdem soll er aus Cherbourg grüßen und nicht aus Venedig. In allem anderen soll er sein wie ich. Er soll alles durchmachen, genießen und erleiden, was ich durchgemacht, genossen und durchlitten habe -und überdies auch noch all das, was ich bisher nicht erzählt habe -, sofern ich deine Erinnerungen dadurch auffrische, dass ich all die vielen Geschichten noch einmal erzähle.
    Die Versuchung ist wahrhaftig groß. Es wäre, als würde ich diese Tage -und diese Nächte - noch einmal durchleben, und das zu tun, habe ich mich seit langem gesehnt. Du weißt ja, ich habe immer vorgehabt, noch einmal in den Fernen Osten zu reisen. Doch nein, das kannst du nicht wissen. Davon habe ich nicht einmal im engsten Kreis der Familie gesprochen. Das war ein Traum, der mir zuviel bedeutete, als dass ich ihn mit anderen hätte teilen mögen...
    Jawohl, ich hatte vor, irgendwann noch einmal aufzubrechen. Doch als ich aus Genua befreit wurde und nach Venedig zurückkehrte, erforderte das Familienunternehmen meine Aufmerksamkeit, und so zögerte ich abzufahren. Dann lernte ich Donata kennen, und sie wurde meine Frau. Infolgedessen zögerte ich abermals eine Zeitlang, und dann kam eine Tochter. Das selbstverständlich war Grund genug, neuerlich zu zögern, und so wurde eine zweite Tochter geboren; bald waren es drei. So schob ich es immer wieder hinaus, und ehe ich's mich versah, war ich alt.
    Alt! Es ist unfaßlich! Werfe
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