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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1
Autoren: Gary Jennings
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ich diesmal alles erzähle, was bis dahin nicht erzählt worden ist. Mag die Welt, so es ihr gefällt, getrost alles für erfunden halten. Es ist besser, wenn einem in derlei Dingen nicht geglaubt wird, als dass man für alle Ewigkeit darüber schweigt.
    Doch zuerst, Luigi: Dem Manuskript-Muster, das du mir mit deinem Brief hast zukommen lassen, um mir zu zeigen, wie du vorhast, Bauduins Geschichte zu beginnen, entnehme ich, dass dein Französisch seit deiner Niederschrift unserer Weltbeschreibung wesentlich besser geworden ist. Das ermuntert mich, mir die Freiheit herauszunehmen, noch eine kleine Bemerkung zu diesem früheren Buch zu machen. Der Leser jener Seiten könnte meinen, Marco Polo sei zeit seines Reiselebens ein Mann gereiften Alters und nüchternen Urteils gewesen -und sei irgendwie in so großer Höhe durch die Luft geflogen, dass er den gesamten Umfang unserer Erde auf einen Blick von einem Ende bis zum anderen habe erfassen können, um hier auf ein Land zu zeigen und dort auf ein anderes, und mit Gewißheit habe sagen können: »In diesem Punkte unterscheidet dieses sich von jenem.« Es stimmt, ich war vierzig, als ich von meinen Reisen heimkehrte. Auch hoffe ich, ein bißchen weiser und verständiger nach Hause zurückgekehrt zu sein, als ich es war, da ich zu diesen Reisen aufbrach, denn damals war ich nur ein staunend die Augen aufreißender Jüngling: unwissend, unerfahren und töricht. Auch mußte ich wie jeder andere Reisende alle Länder und was darinnen war nicht mit der Überlegenheit betrachten, über die ich einige fünfundzwanzig Jahre später gebot, sondern in der Reihenfolge, in der ich auf meinen Reisen auf sie stieß. Es war freundlich und schmeichelhaft von dir, Luigi, mich in jenem früheren Buch so darzustellen, als wäre ich immer ein alles sehender und allwissender Mann gewesen; deinem neuen Werk könnte es nur guttun, wenn du den Erzähler ein wenig lebensechter darstelltest.
    Des weiteren würde ich vorschlagen, Luigi - jedenfalls sofern du vorhast, deinen Monsieur Bauduin nach dem Muster des Marco Polo zu gestalten -, dass du ihn seine Laufbahn nach einer vertanen Jugend beginnen läßt, in der er sich unerhörtem Leichtsinn und bedenkenloser Zügellosigkeit in die Arme geworfen hatte. Was ich jetzt sage, bekenne ich hier zum ersten Mal. Ich habe Venedig damals nicht nur den Rücken gekehrt, weil ich begierig war, neue Horizonte zu sehen. Ich verließ Venedig, weil ich mußte -oder zumindest, weil Venedig
    bestimmte, dass ich die Stadt zu verlassen hätte. Selbstverständlich kann ich nicht wissen, wie eng du dich mit der Geschichte deines Bauduin an die meine halten willst. Aber du hast gesagt: »Erzähle alles«, und so will ich damit noch vor dem richtigen Anfang einen Anfang machen.
    VENEDIG
    Wiewohl die Polos seit nunmehr dreihundert Jahren stolze Venezianer sind, stammen sie nicht von dieser italienischen Halbinsel, sondern von der anderen Seite des Adriatischen Meeres. Ja, ursprünglich kommt die Familie aus Dalmatien und muß der Name etwa Pavlo gelautet haben. Der erste meiner Ahnen, der nach Venedig hinübersegelte und dort hängenblieb, tat dies kurz nach dem Jahre 1000. Er und seine Nachkommen müssen es in Venedig ziemlich rasch zu etwas gebracht haben, denn bereits im Jahre 1094 gehörte ein Domenico Polo genauso zum Großen Rat der Republik wie im folgenden Jahrhundert ein Piero Polo.
    Der älteste meiner Vorfahren, an den ich sogar noch eine verschwommene Erinnerung bewahrt habe, war mein Großvater Andrea. Zu seiner Zeit war bereits jedem Manne des Geschlechtes der Polo offiziell das Ene Aca verliehen worden, so die Anfangsbuchstaben von No-bihs Homo oder Edelmann, und hatte damit ein Anrecht auf die Anrede Messere; außerdem besaßen wir ein Familienwappen: ein silbernes Feld mit drei schwarzen rotschnäbligen Vögeln darin; es wird im Wappen also durch Bilder mit Worten gespielt, denn bei unserem Wappenvogel handelt es sich um die ebenso dreiste wie fleißige Dohle, auf venezianisch pola.
    Nono Andrea hatte drei Söhne: meinen Onkel Marco, nach dem ich benannt wurde, meinen Vater Nicolo und meinen Onkel Mafio. Was sie als Knaben machten, weiß ich nicht, doch nachdem sie herangewachsen waren, wurde der älteste Sohn, Marco, der Vertreter der Polo-Handelsgesellschaft im Konstantinopel des (von uns Venezianern begründeten) Lateinischen Kaiserreiches, während sein Bruder in Venedig zurückblieb, um hier dem Hauptsitz des Unternehmens vorzustehen und für den
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