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Manuskript des Teufels

Manuskript des Teufels

Titel: Manuskript des Teufels
Autoren: Bert Saurbier
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nicht vorstellen. Ausgerechnet in meiner Antrittsvorlesung saß ein engelsgleiches Geschöpf unmittelbar vor mir in der ersten Reihe des Hörsaals. Soviel Anmut, Liebreiz und Schönheit hatte ich bis dahin noch nie gesehen. Ich hatte keine Chance, ich musste mir dieses Meisterwerk göttlicher Kunst immer wieder anschauen. Und glaub mir: Ich musste mich extrem auf meinen Vortrag konzentrieren, der ja für meine Zukunft und meinen beruflichen Erfolg so entscheidend sein sollte. Aber der Ehrgeiz hatte mich gepackt. Ich wollte dieser Frau in der ersten Reihe imponieren.“
    „Ist dir ja prächtig gelungen.“
    „Naja. sagen wir so: Sie hat einen nicht zu unterschätzenden Anteil am Gelingen meiner Antrittsvorlesung. Und dabei war Maria, so heißt sie, damals nur einer Laune folgend mit in die Vorlesung gekommen. Ihre Freundin, die Theologie studiert, hatte sie gebeten, sie an diesem Tag zu begleiten.“
    „Nicht, dass du denkst, ein Trappisten-Eremit sei vorwitzig, wenn er seine Nase mal ein wenig Duft des normalen Lebens da draußen schnuppern lässt, aber eins interessiert mich brennend: Lassen dir Theologie und Amore überhaupt noch Platz für’s Training? Aber mach’s kurz! Wir haben wichtigere Dinge zu besprechen.“
    „Na, klar. Siehst du doch, oder?“
    „Wenn ich dich so anschaue: schlank und elegant wie eine Gazelle. Du scheinst tatsächlich noch ein Faible für die Körperertüchtigung zu besitzen.“
    „Jetzt lass aber die Kirche mal im Dorf, Aloisius! Du warst mir früher im Sportunterricht haushoch überlegen und irgendwann wollte ich dir nacheifern. Zusammen haben wir wie die Verrückten Sport getrieben und oft auch übertrieben. Und ich wage zu behaupten, dass ich dich in einigen Disziplinen sogar überflügelt habe. Erinnerst du dich noch an unsere beiden Sportlehrer. Der eine, ich glaube, wir nannten ihn wegen seiner kurzen Beine ‚Shorty‘, hat mir eine große Karriere als Leichtathlet und der andere, Lehrer Disterwald, abgekürzt die ‚Diwa‘, eine vielversprechende Zukunft als Turner prophezeit.“
    „Oh, Stephan. Ich wünsche mir so sehr, dass wir bald eine weitere Gelegenheit bekommen, miteinander nach Herzenslust zu plaudern.“
    „Sehr gern. Dann erzähle ich dir mehr über meine drei großen Leidenschaften: meine Freundin, mein Glaube, der auch mein Beruf ist, und mein Training. Aber du wirst verstehen, ich platze vor Neugier und Ungeduld. Ich brenne darauf, dass du endlich etwas zu meinem Manuskript sagst.“
    „Genau deshalb bist du ja hier“, antwortete Aloisius und legte eine nachdenkliche Pause ein. Eine tiefe Furche legte sich auf seine Stirn, offensichtlich wollte er seine nächsten Worte mit Bedacht wählen. „Bevor ich zum Manuskript komme, lass mich dir vorweg sagen, dass nichts unsere Freundschaft gefährden kann. Egal, was wir zu besprechen haben und was wir diskutieren werden. Ist das klar?“
    D’Aubert nickte langsam und bedächtig, als erwarte er ein sehr gewichtiges Wort seines Freundes.
    Aloisius fuhr fort: „Ich habe dein etwa vierhundert Seiten starkes Werk in fast allen Passagen nicht nur einmal, sondern mehrmals mit größter Aufmerksamkeit gelesen. Und auch mit zunehmender Ergriffenheit. Ich ziehe meinen Hut, pardon mein Barett! Eine sensationelle und hochwissenschaftliche Leistung. Ich habe dich schon während des Studiums für ein cleveres Kerlchen gehalten, aber dein Manuskript hat mich endgültig überzeugt, dass du auf dem Gebiet der Bibelforschung zu den führenden Wissenschaftlern unserer Zeit gehörst. Also nochmals Chapeau und Hochachtung.“
    D’Aubert atmete tief durch. Ihm fiel ein Stein vom Herzen. Wie sehr hatte er dieses Urteil erhofft. Aber auch gefürchtet, es könne bei Aloisius weniger Anklang finden.
    Einmal ins Reden gekommen, war Pater Aloisius nicht mehr zu bremsen: „Auch die literarische Leistung verdient Anerkennung. Vor allem bewundere ich deine Fähigkeiten, die kompliziertesten fachspezifischen Themen und Zusammenhänge leicht verständlich für Jedermann, also auch für den Laien, darzustellen. Eben diese Kombination von wissenschaftlicher Perfektion und sprachlicher Genialität verleihen deinem Werk eine verführerische Glaubhaftigkeit und Überzeugungskraft, um nicht zu sagen eine beängstigende Verführungsmagie.“
    D’Aubert hob abrupt den Kopf: „Nehme ich da so etwas wie vorwurfsvolle Kritik wahr?“
    Ein mühsam hervorgerufenes Lächeln begleitete den Einwand von Pater Aloisius: „Wir, die ‚Unzertrennlichen‘,
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