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Mansfield Park

Mansfield Park

Titel: Mansfield Park
Autoren: Jane Austen
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über dessen unerhörtes Glück man sich abends, wenn es gute Nacht gesagt hatte, im Salon unterhielt, beschloß jeden kummervollen Tag damit, daß es sich in den Schlaf schluchzte. Auf diese Weise verging eine Woche, und ihr stilles, passives Wesen ließ nichts von ihrem Jammer ahnen, bis eines Morgens ihr Vetter Edmund, der jüngere der beiden Söhne, sie weinend auf der Treppe zum Dachboden kauern sah.
    «Mein liebes, kleines Cousinchen», sagte er mit der ganzen Freundlichkeit eines vortrefflichen Charakters, «was ist denn passiert?» Er setzte sich zu ihr und gab sich alle Mühe, ihre Beschämung, in dieser Lage überrascht zu werden, zu überwinden und sie zum Sprechen zu bringen. War sie krank? Hatte jemand sie gescholten? Oder hatte es mit Maria und Julia Streit gegeben? Vielleicht verstand sie ihre Aufgabe nicht, und er könnte es ihr erklären? Gab es nichts, was er ihr bringen oder für sie tun könnte? Lange Zeit brachte er nichts anderes aus ihr heraus als abgerissene Worte: «Nein, nein – wirklich nicht –, danke, nein …» Doch er ließ nicht locker, und kaum hatte er begonnen, von ihrem Elternhaus zu sprechen, als ihr heftiger werdendes Schluchzen ihm den Grund ihres Kummers verriet. Er versuchte, sie zu trösten.
    «Du bist traurig, weil du deine Mama verlassen mußtest, meine liebe, kleine Fanny», sagte er. «Das zeigt, daß du ein sehr liebes, gutes Mädchen bist. Aber denke daran, du bist hier bei deinen nächsten Verwandten, die dich liebhaben und glücklich machen möchten. Komm, gehen wir ein bißchen im Park spazieren. Du mußt mir von deinen Geschwistern erzählen.»
    Als er die Sache weiterverfolgte, entdeckte er, daß unter allen Geschwistern, an denen ihr kleines Herz hing, einer war, bei dem ihre Gedanken öfter als bei den übrigen weilten. Es war William, von dem sie immer wieder sprach und nach dem sie sich am meisten sehnte, William, der Älteste, ein Jahr älter als sie, ihr ständiger Gefährte und bester Freund, in jeder Not ihr Fürsprecher bei der Mutter (deren Liebling er war). William hätte nicht leiden wollen, daß sie wegginge – er hatte gesagt, es würde ihm bange nach ihr sein …
    «Aber William wird dir doch sicher schreiben?» – Ja, das hätte er versprochen, aber gesagt, sie müsse zuerst schreiben. – «Und wann schreibst du ihm?» Sie ließ den Kopf hängen und antwortete zögernd, sie wisse nicht – sie habe kein Papier …
    «Wenn das die ganze Schwierigkeit ist, werde ich dir Papier geben und alles, was du sonst brauchst, und du kannst schreiben, wann du Lust hast. Würde es dir Freude machen, ihm einen Brief zu schicken?»
    «O ja – sehr!»
«Dann tun wir es gleich. Komm, gehen wir ins Frühstückszimmer, dort finden wir alles Nötige und bleiben ganz ungestört.»
«Aber – wird der Brief auch zur Post kommen?»
«Verlaß dich auf mich. Er wird mit allen anderen Briefen zusammen abgeschickt werden, und William braucht nichts dafür zu bezahlen, weil dein Onkel ihn frankieren wird.»
«Der Onkel!» wiederholte Fanny erschrocken.
«Ja, wenn du den Brief geschrieben hast, werde ich ihn meinem Vater bringen, damit er ihn frankiert.»
Fanny hielt das für ein kühnes Unterfangen, leistete aber keinen weiteren Widerstand, und gemeinsam gingen sie ins Frühstückszimmer, wo Edmund ihr einen Bogen zurechtmachte und linierte – mit nicht geringerer Hilfsbereitschaft, als ihr eigener Bruder hätte zeigen können, und sehr wahrscheinlich mit größerer Präzision. Während sie schrieb, saß er die ganze Zeit neben ihr und kam ihr, je nach Bedarf, bald mit seinem Federmesser, bald mit seiner Orthographie zu Hilfe. Doch außer diesen Aufmerksamkeiten, die sie tief empfand, erwies er ihrem Bruder eine Freundlichkeit, die sie mehr als alles andere hinriß: er fügte mit eigener Hand Grüße an seinen Vetter William hinzu und sandte ihm beigeschlossen eine halbe Guinee. Fanny war von ihren Gefühlen so überwältigt, daß sie es für ausgeschlossen hielt, ihnen Ausdruck zu verleihen; doch ihre glückstrahlende Miene und ein paar naive Worte genügten, um ihre ganze Dankbarkeit und Freude zu offenbaren, und ihr Vetter begann sie interessant zu finden. Er plauderte weiter mit ihr, und alles, was sie sagte, überzeugte ihn von ihrem zärtlichen Gemüt und ihrem ernsthaften Streben, recht zu tun; ihre große Schüchternheit und ein sehr feines Empfinden für ihre Stellung empfahlen sie noch mehr seiner Aufmerksamkeit. Er hatte sie niemals wissentlich gekränkt, doch
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