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Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Titel: Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
Autoren: Monika Gruber
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»Hauberlinge«) bis zu höchster Verzückung (ebenfalls von meiner Mama zubereitetes Gebäck wie knusprige Krapfen, resche Kirchweihnudeln oder filigrane Weihnachtsplätzchen, je nach Jahreszeit). Ich habe im Laufe der Jahre so manche Kirchweihnudel und viele Schuxn gegen eine Cola aus dem Schulautomaten beziehungsweise gegen eine Salamisemmel vom Schulkiosk getauscht und fand immer, dass ich dabei den besten Schnitt gemacht hatte. Es scheint irgendwie ein Instinkt des Menschen zu sein, immer das als verlockender zu empfinden, was die anderen haben.
    Was mich aber an der Schule am meisten fasziniert hat, war das Sammelsurium von Lehrkräften, die ausgezogen waren, um uns Bildung und Wissen beizubringen (Anstand und Benehmen wurden damals nämlich noch frei Haus von den Eltern geliefert und fielen daher nicht in den Zuständigkeitsbereich des Lehrerkollegiums). Einige Lehrer amüsierten mich, wie zum Beispiel Herr Häberl, unser Lateinlehrer, um den sich die nie bestätigte Mär rankte, dass er früher einmal Autorennen gefahren sei und sein versteiftes Bein ein Relikt aus eben dieser Zeit sei. An dem Gerücht könnte tatsächlich etwas dran gewesen sein, denn sein Fahrstil war legendär: Rote Fußgängerampeln waren für ihn lediglich ein Vorschlag, den es nicht unbedingt zu beachten galt, und wenn sein weinroter Wagen auf den Lehrerparkplatz bog, dann tat man als Schüler gut daran, sich hinter einem Radlständer, einem Gebüsch oder anderen Autos in Sicherheit zu bringen. Wenn während des Unterrichts das Geheul eines Krankenwagens in der Stadt zu hören war, meinte Herr Häberl nur lapidar: »Was soll das? Ich bin ja noch gar nicht auf der Straße!« Wir fanden das sehr lustig.
    Manche Mitglieder des Lehrerkollegiums ängstigten mich aber auch: Es gab zum Beispiel ein geradezu autistisches Nachtschattengewächs, das unter anderem Wirtschaft und Stenografie unterrichtete. Ein dürres Weiblein, das ich nie in etwas anderem als einem schwarzen Faltenrock und ebenfalls schwarzen Pullover gesehen habe. Dazu kombinierte es schwarze Schnürschuhe, wie ich sie bis dato nur an Männern gesehen hatte, eine schwarze Umhängetasche, einen altmodischen, von weißen Haarfäden (oder waren es Spinnweben?) durchzogenen Dutt, und um den dünnen, blassen Hals wand sich stets ein dünnes Silberkettchen mit einem kleinen Silberkreuz. Ältere Schüler erzählten, dass die Dame früh Witwe geworden sei und ihre Trauer nie überwunden habe. Ehrlich gesagt, war meine Theorie, dass es sich bei diesem unheimlichen Geschöpf um einen Lehrervampir handelte, der zu Staub zerfallen würde, falls er jemals die Räumlichkeiten des Gymnasiums verlassen würde. Und tatsächlich habe ich diese Person nie in der Stadt oder im Park gesehen. Auffällig war auch, dass dieses Wesen schon zu meiner Schulzeit wie siebzig aussah und noch lange Jahre nach Beendigung meiner Schulzeit unterrichtete, weil es wahrscheinlich alterslos war. Oder unsterblich? Ich weiß es bis heute nicht.
    Faszinierend fand ich außerdem unseren Geschichtslehrer, Herrn Zölch, der damals schon an die sechzig Jahre gewesen sein dürfte und der ein Bein (ich weiß leider nicht mehr, ob nun das rechte oder das linke) im Russlandfeldzug verloren hatte, was natürlich ein sehr trauriger Umstand für ihn war. Für uns waren seine Erlebnisse aus der russischen »Daiga und da Dundra« (der Mann war vermutlich Franke) Anschauungsunterricht par excellence. Da machte es uns auch wenig aus, dass die anderen Länder im Vergleich zum russischen Großreich inhaltlich ein wenig wegbröselten und sich überhaupt der Unterricht im Wesentlichen auf den Zweiten Weltkrieg beschränkte. Herr Zölch fesselte uns mit seinen Erzählungen, und wenn wir den Unterricht mal zu sehr mit privatem Geschwätz zu zersetzen drohten, dann schnallte er einfach sein Holzbein ab und klopfte damit auf das Lehrerpult, wobei er uns immer als »Hundsknochen, elendige« betitelte. In unseren Ohren klang es aber gar nicht so sehr wie ein Schimpfwort, wahrscheinlich war es sogar ein Kompliment, denn Herr Zölch hatte wie alle Soldaten im Russlandfeldzug Hunger gelitten, und ein Hundsknochen war ja in so einem existenziellen Zustand geradezu eine Delikatesse. Ich denke, Herr Zölch mochte uns.
    Meine guten Fremdsprachenkenntnisse (im Gegensatz zu meinem geradezu verheerenden Mathewissen) verdanke ich vor allem einer einzigartigen Lehrerin, die offensichtlich alle romanischen Sprachen beherrschte und diese mit mütterlicher
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