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Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)

Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)

Titel: Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
Autoren: René Grandjean
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Schlumpfkolonie. Daneben
ein fluoreszierendes Dinosaurierskelett aus dem Yps-Heft. An den Wänden Poster.
Die Ghostbusters. Duran Duran. Wer zum Teufel ist denn Hendrik Martz?
    Durch die Wand hinter dem Regal
dringt gedämpft das monotone Piepen eines Weckers. Dort liegt das Schlafzimmer
meiner Eltern.
    Ich werde gleich meiner Mutter
begegnen!
    Der Gedanke versetzt mir einen
Schlag.
    Ich habe sie so lange nicht
gesehen. Jetzt keinen Fehler machen. Wie ein ungeübter Schauspieler kurz vor
dem Auftritt überdenke ich meine Rolle. Wie verhalte ich mich? Wie war er, der
dreizehnjährige Nori? Dann erinnere ich mich, dass die Wahrheit viel zu
verrückt ist, als dass meine Mutter sie erahnen könnte. Zurück bleibt ein
Gefühl wie Weihnachten, kurz vor der Bescherung – nervös, aber hoffnungsvoll.
    Jede Tür in diesem Haus macht beim
Öffnen ein eigenes, unverwechselbares Geräusch. Jetzt höre ich die Schlafzimmertür
meiner Eltern quietschen. Eilige Schritte kommen näher. Ich erwarte, dass
meine Mutter klopft, was sie natürlich nicht tut – ich bin ein Kind. Sie platzt
herein, und ich stehe da wie ein ertappter Einbrecher, das Diebesgut noch in
meinen Händen – den Flötenschlumpf .
    Meine Mutter ist groß, schlank und
blass. Ihr rotes Haar ist ganz durcheinander. Sie trägt einen grünen
Morgenmantel. Ich überschlage schnell im Kopf, dass sie etwa Anfang dreißig
ist. Ich muss schuldbewusst aussehen, wie ich den Flötenschlumpf verlegen in
den Händen drehe, als wäre ich bei etwas Verbotenem erwischt worden. Was ja im
Grunde auch stimmt. In diesem überwältigenden Augenblick möchte ich etwas
sagen, das meine Gefühle zum Ausdruck bringt, meine unermessliche Freude sie
wiederzusehen, aber ohne mich zu verraten. Offenbar sieht sie mir meinen
Zwiespalt an, interpretiert ihn jedoch völlig falsch.
    „Nicht spielen! Anziehen!
Wandertag!“
    Und mit einem Knall ist die Tür
wieder zu und sie verschwunden.
    „Ich hab dich lieb, Mama“, sage
ich, als ihre Schritte auf der Treppe verhallt sind, und ich sicher bin, dass
sie mich nicht hört.
     
    Die Küche ist kleiner als in meiner
Erinnerung. Die Decke ist niedrig, von schiefen Balken getragen. Es ist still.
Nur die Uhr an der Wand tickt. Vor dem Fenster liegen Hof und Garten.
Inzwischen ist es hell. Wir sitzen zusammen am Küchentisch. Ich baumle mit den
Beinen, damit meine nackten Füße nicht den kalten Kachelboden berühren. Meine
Mutter liest in der Morgenpost, raucht und nippt gelegentlich an ihrem Kaffee.
Ich starre sie über meine Schüssel mit Frosties hinweg an wie ein
Weltwunder. Es tut so gut, sie wiederzusehen. Ich sehe mich in ihr. Ich habe
ihre Mandelaugen. Die hohen Wangenknochen. Wenn ich älter bin, werde ich ihr
noch ähnlicher sein. Optisch! Sie hebt den Blick, lächelt mich an, und ich
spüre, wie mir die Schamesröte ins Gesicht schießt, weil ich mich ertappt
fühle.
    „Nori, nicht träumen.“
    Pflichtbewusst esse ich. Der Dunst
ihrer Zigarette hüllt mich ein, weckt in mir den Wunsch zu rauchen. Aber das
ist nur die Gewohnheit. Mein Körper ist noch nicht nikotinabhängig. Mutter
steht auf und dreht sich zur Anrichte, wo die Kaffeemaschine steht. Ich werfe
einen Blick auf die Zeitung. „London und Philadelphia rüsten sich für Touristenansturm
zum größten Musikspektakel aller Zeiten“, lese ich die auf dem Kopf stehende
Überschrift. London kommt mir unheimlich weit weg vor. Meine Mutter schaut zur
Uhr.
    „Jetzt aber mal ab dafür.
Zähneputzen. Anziehen.“
    Sie klatscht in die Hände, als wäre
ich ein Huhn, das es zu verscheuchen gilt.
     
    Ich habe wirklich mit dreizehn noch Micky Maus-T-Shirts getragen? Verzweifelt durchwühle ich meinen Schrank
nach etwas Tragbarem. Ohne Erfolg. Keine Zeit mehr. Ein graues Sweatshirt?
Okay. Eine Jeansjacke? Immerhin. Schwarze Chucks? Na läuft doch!
    Eilig poltere ich die steile Treppe
hinab. Unten erwartet mich meine Mutter. Sie reicht mir meinen Rucksack, nimmt
mich in die Arme und wünscht mir viel Spaß. Sie riecht nach früher , dass
jetzt heute ist, und ich muss aufpassen, dass ich nicht heule. Mir wird
bewusst, dass ich noch keinen Ton zu ihr gesagt habe, und dass sie es nicht gemerkt
hat.
     
    Als ich aus der Haustür trete,
erwischt mich die totale Erinnerung. Das seidige Morgenlicht. Das
Vogelgezwitscher. Frau Engler fegt die Straße. Das Scharren ihres Besens riss
mich unendlich oft aus dem Schlaf. Und wird es wieder tun. Die frische Luft ist
noch kühl, aber der blaue Himmel deutet
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