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Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)

Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)

Titel: Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
Autoren: René Grandjean
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durch. Die geschubsten Mädchen motzen, aber
Jörg ignoriert sie. Er ist groß, noch größer als Claudia, und trägt einen
zarten Schnurrbart über der wulstigen Oberlippe. Jörg ist im letzten Jahr
sitzen geblieben und seitdem in unserer Klasse. Er raucht hinter vorgehaltener
Hand. Seine dunklen Augen untersuchen dabei unruhig die Umgebung. Ihm folgen
Heiner, die Brillenschlange und Thomas, der immer nur Markenklamotten trägt.
Ich erinnere mich, dass ich mit Heiner manchmal Comics getauscht habe. Aber
richtige Kumpel waren wir nie. Heiner ist von bulliger Statur und ein unangenehmes
Großmaul. Trotzdem oder gerade deshalb ist er oft das Ziel des Spottes der
anderen.
    Akzeptiere deine soziale Rolle,
Betamännchen!
    Thomas hat einen Topfschnitt und
Pickel. Seine Klamotten leuchten in allen Farben des Pastellregenbogens. Ich
merke, dass Heiner mit mir redet.
    „So geil! Superman und die Spinne
in einem Heft! So geil!“ Er schlägt in die Luft nach seinem unsichtbaren
Gegner, macht „Boing“ und tut so, als würde er getroffen taumeln. Dabei rempelt
er Bettina an.
    Das war volle Absicht!
    Pastell-Thomas umarmt die viel
größere Claudia. Stimmt, die beiden sind ein Paar. Die Schulglocke rasselt.
    Die 8a schultert ihre Rucksäcke und
Taschen.
    Klaus fasst mich am Arm und zieht
mich hinter sich her. Wie vor einer unsichtbaren Mauer bleiben wir dicht an der
Bordsteinkante stehen. Der Bus biegt von der Straße in die Haltebucht. Die
hintere Tür kommt genau vor uns zum Stehen. Klaus lacht. Außer Jörg stellen
sich alle hinter uns an. Die Bustür öffnet sich mit einem Zischen, und wir
stürmen hinein.
    Ich sitze ganz hinten, auf der
durchgehenden Bank an der Rückscheibe, wo die Coolen sitzen. Martin erzählt von
einem Video, das er gesehen hat. Jäger des verlorenen Schatzes . Echt,
die Nazis schmelzen? Geil!
    Alter, ich bin dir um Jahre
voraus .
    Lautsprecher rauschen, jemand
pustet in ein Mikrofon. Wir schauen nach vorn. Es ist unsere Klassenlehrerin
Frau Maler. Sie steht vorn im Gang neben dem Fahrer.
    „Guten Morgen.“
    „Guten Morgen, Frau Maler.“
    Sie trägt einen dunklen Overall und
Stiefeletten. Dazu diese Mireille-Mathieu-Frisur und sehr viel schwarze Schminke
um die Augen.
    „Sind alle da?“, fragt sie.
    „Ja“, ruft die Klasse.
    Ich würde wetten, jede Klasse
antwortet so auf diese Frage. Frau Maler reicht dem Fahrer das Mikro und setzt
sich. Ich mag sie. Keine langen Reden. Der Motor startet und der Bus fährt
schaukelnd los. Klaus neben mir schaut aus dem Fenster. Martin redet mit Jörg.
Ich nutze die Gelegenheit und setze die Kopfhörer wieder auf. John Parr endet,
und Huey Lewis and the News springen in die Bresche. The Power of
Love .
    Wo sitzt eigentlich Bettina? Zwei
Plätze weiter vorn. Ich starre aus dem Fenster und konzentriere mich darauf,
nicht durchzudrehen.
     
    Alle beobachten gespannt, wie sich
die Flasche in unserer Mitte knirschend auf dem schmutzigen Gummiboden dreht
und langsam an Schwung verliert. Alle außer mir. Unbemerkt starre ich meine
Freunde an wie Geister. Denn das sind sie, Geister der Vergangenheit.
    Der Kassettenrekorder spielt dumpf
leiernd Maria Magdalena . Das mischt sich mit dem Geräusch des Busmotors
und dem gänsegleichen Geschnatter der Klasse zu einer Geräuschkulisse, die mich
nervt. Bettina summt die Melodie mit, und ihr Blick zeigt die entrückte
Verlorenheit, die schon bald Scharen von Jungs um den Verstand bringen wird.
Bettina – in einer Vergangenheit, die jetzt die Zukunft ist, wird sie meine
erste große Liebe. Eine unschuldige, unerfüllte Liebe. Nicht vergleichbar mit
der hitzigen, hormongesteuerten Geilheit, die mich während der Pubertät in
ihrer Gewalt halten wird, wenn die Hände unter der Bettdecke verschwinden. Wie
gut es sich immer angefühlt hat, in Bettinas Nähe zu sein. In meinen Erinnerungen
hallt ihr herrliches Lachen zwischen den Schulhofmauern hinauf, steigt als Echo
zum Himmel empor und vertreibt die dunkelsten Wolken. Eine Aura der Leichtigkeit,
die sich in ihrem Handeln, in jedem gesprochenen Wort widerspiegelte, umgab
sie wie eine unsichtbare Korona und ließ wie durch Magie alles und jeden in
ihrem Glanz erstrahlen.
    Davon spüre ich jetzt nichts. Sie
ist einfach nur ein kleines Mädchen. Ihr gackerndes Lachen klingelt mir
unangenehm in den Ohren. Schon bald wird sie sich, ein wenig vor der Zeit, in
eine junge Frau verwandeln, in die Art von Mädchen, die Mütter frühreifes
Früchtchen nennen und ihre Söhne warnen, sich
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