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Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)

Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)

Titel: Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
Autoren: René Grandjean
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Wir sind eins! Komm zu mir!
    Here's to you, raise a glass for everyone.
    Noch 49 Sekunden.
    Jede Zelle meines Körpers aktiviert sich. Ich bin eine leere Hülle. Die Natur duldet kein Vakuum. Die Bestie brüllt und ich lache. Dann absorbiere ich sie. Es beginnt an meinen Händen. Ich verschlinge ihre Tentakel und ziehe sie dichter an mich ran. Ihr Bauch verschwindet in meinem Bauch. Ihre Hände wollen sich an meinen Schultern abdrücken, aber sie versinken einfach in ihnen. Ich sehe mein Spiegelbild in ihren furchtsamen Augen. Wie zum Abschiedskuss nähern sich unsere Gesichter, berühren sich, und dann ist sie verschwunden. Ist in mir. Ich bin jetzt der Herr der Angst.
    Noch 30 Sekunden!
    Ich betrete die Bühne, ohne den Boden zu berühren. Ich glühe und bin leicht wie eine Feder. Das Publikum empfängt mich mit lautem Jubel. Ich verbeuge mich.
    Bob Geldof sieht irritiert aus. Bono heißt mich lachend willkommen, legt mir den Arm um die Schulter.
    Feed the world.
    Wir singen aus Leibeskräften. Meine Adleraugen scannen die Umgebung.
    Feed the world.
    Wie gerne würde ich in Bonos Arm verharren. Für immer. Ich bin euphorisiert. Berauscht. Doch ich muss mich lösen. Der Gitarrist sieht überrascht aus, als ich ihn auffordere, mir sein Instrument zu übergeben. Aber die Kamera fängt uns ein, bringt es auf die Leinwand, und das Publikum unterstützt meine Forderung lautstark. Eine
Les Paul.
Schön schwer.
    Feed the world.
    Die Menge feuert mich an. Mein rotierender Arm schlägt die Saiten gnadenlos. Ich springe in die Luft, winkel die Beine an, lande auf den Knien. Ich kann gar nicht Gitarre spielen. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Das Instrument und ich, wir werden eins. Werden Licht ohne Schatten. Strahlend wie der hellste Stern am Himmel. Van Schewick hockt neben einer Kamera. Er bemerkt mich, weil unsere Blicke sich treffen. Ich lasse die Gitarre ruhen und halte den Moment fest. Er dehnt sich, wird unendlich, wird Ewigkeit. All der Schmerz. All die Angst. Sie flackert in seinen Augen.
Zeitlupe an
. Ruhe macht sich in mir breit. Van Schewick kommt auf die Beine. Er verformt sich. Der faulige Atem der Bestie schlägt mir aus seinem überdehnten Mund entgegen. Nur ich kann die Bewegung unter seiner Haut sehen. Sie beult aus und platzt. Es ist die Brut. Sie schlüpft. Die zuckenden Tentakeln kriechen über die Bühne. Winden sich wie die Schlangen der Medusa. Sie greifen nach Bono, nach David und Bob. Wirbeln sie hoch in die Luft. Josch kommt auf mich zu. Sein Blick ist panisch. Er ruft mir etwas zu, das ich nicht verstehen kann, weil die Musik so laut ist. Die Gorillas sind ihm dicht auf den Fersen. Ich fasse den Hals der Gitarre. Recke sie mit aller mir verbliebenen Kraft hoch in die Luft. Sie strahlt und funkelt im bunten Neonlicht der Scheinwerfer. Van Schewick weicht zurück. Er fürchtet mich. Er weiß, dass ich es weiß – dass ich der Herr der Angst bin. Mit voller Wucht schlage ich die Gitarre auf seinen Schädel. Jippijajey Schweinebacke! Blut läuft über den Bühnenboden. Die Musik bricht ab. Schreie im Publikum. Ich lasse die Gitarre fallen. Ich bin müde, so unsagbar müde. Ich sehe, wie der Gorilla auf mich zukommt. Dann gehen die Lichter aus.
     

     

     

     

     

     

     

Epilog
     
     
    „ Wie fühlen Sie sich jetzt?“, fragt Braun.
    „ Im Moment? Es tut gut, sich alles von der Seele zu reden. Ich glaube, Sie wissen jetzt mehr von mir, als jeder andere. Sogar mehr als meine Mutter. Das Ganze ist“ – Nori ringt um die richtigen Worte – „ich kann es kaum beschreiben. Ohne jetzt pathetisch werden zu wollen, aber ich habe etwas erkannt. Es ist völlig egal, dass ich Angst habe. Verstehen Sie? Wahrscheinlich nicht. Es mag jetzt wie eine Plattitüde in Ihren gebildeten Ohren klingen, aber ich habe meinen Frieden mit der Angst gemacht. Sie als Teil meiner Persönlichkeit willkommen geheißen. Denn sie bietet mir jeden Tag die Möglichkeit, mutig zu sein. Ein Held zu sein!“
    Nori lächelt. Dann lacht er. Lacht laut und befreit. Es hallt durch den Raum. Aber dann kippt es und ertrinkt in seinen Tränen. Er weint. Braun schweigt und wartet ab.
    „ Sagen Sie es mir“, bittet Nori, ohne sein Gegenüber anzusehen.
    „ Was möchten Sie wissen?“, fragt Braun sanft.
    „ Meine Freunde. Was ist mit meinen Freunden? Bettina. Josch. Geht es meinem Vater gut?“
    Er schaut erwartungsvoll. Hoffnungsvoll.
    „ Lassen Sie mich erklären“, beginnt Braun in sachlichem Ton. „Ihren Freunden geht es
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