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Maigret zögert

Maigret zögert

Titel: Maigret zögert
Autoren: Georges Simenon
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begegneten, deren Gesichter ihm bekannt vorkamen. Er hatte ganz vergessen, dass er hier an den Gärten des Elysee-Palastes entlangging und dass dieses Viertel Tag und Nacht scharf bewacht wurde. Die »Schutzengel« erkannten ihn ebenfalls und grüßten ihn mit einem diskreten und zugleich respektvollen Kopfnicken.
    Es war ein großes, solides Haus, das Parendon bewohnte, gebaut, um den Jahrhunderten zu trotzen, und mit bronzenen Kandelabern zu beiden Seiten des Torwegs. Es gab auch keine gewöhnliche Conciergenloge, die man vom Torbogen aus sah, sondern einen regelrechten Salon, in dem wie in einem Ministerium ein mit grünem Samt bespannter Tisch stand.
    Auch hier traf der Kommissar auf ein bekanntes Gesicht, einen gewissen Lamule oder Lamure, der lange in der Rue des Saussaies tätig gewesen war.
    Er trug eine graue Uniform mit silbernen Knöpfen und schien überrascht, als er Maigret vor sich stehen sah.
    »Wen wollen Sie besuchen, Chef?«
    »Maître Parendon.«
    »Den Aufzug oder die Treppe links. Es ist in der ersten Etage.«
    Hinter dem Haus ein Hof mit Autos, Garagen und niedrigen Gebäuden, wohl ehemals Stallungen. Maigret klopfte mechanisch seine Pfeife am Schuhabsatz aus, bevor er die Marmortreppe erklomm.
    Es gab nur eine Tür, und er hatte kaum geklingelt, als ihm ein Hausdiener in weißem Jackett auch schon öffnete, als habe er auf der Lauer gelegen.
    »Zu Maître Parendon. Ich bin angemeldet.«
    »Hier entlang, Herr Kommissar...«
    Er nahm ihm den Hut ab und führte ihn in eine Bibliothek, wie sie der Kommissar noch nie gesehen hatte. Der längliche Raum hatte eine sehr hohe Decke, und die Wände waren bis auf den Marmorkamin, auf dem die Büste eines älteren Mannes stand, über und über mit Büchern bedeckt. Alle Werke waren gebunden, die meisten davon in rotem Leder. Das Mobiliar beschränkte sich auf einen langen Tisch, zwei Stühle und einen Sessel.
    Er hätte gern die Titel der Bücher studiert, aber schon kam eine junge Sekretärin, die eine Brille trug, auf ihn zu.
    »Wollen Sie mir bitte folgen, Herr Kommissar?«
    Sonnenstrahlen fielen durch die über drei Meter hohen Fenster, tanzten auf den Teppichen, den Möbeln und den Gemälden. Seit er den Flur betreten hatte, sah er eine Fülle von antiken Konsolen, Stilmöbeln, Büsten und Gemälden, auf denen Männer in Kostümen aus allen Epochen dargestellt waren.
    Das Mädchen öffnete eine Tür aus hellem Eichenholz, und ein Mann, der an seinem Schreibtisch saß, erhob sich, um seinen Besucher zu begrüßen. Er trug eine Brille mit sehr dicken Gläsern.
    »Danke, Mademoiselle Vague.«
    Er musste einige Schritte gehen, bis er Maigret gegenüberstand, denn der Raum war so groß wie eine Empfangshalle. Auch hier standen die Wände voller Bücher, zwischen denen einige wenige Porträts hingen, und die Sonne unterteilte den Raum in Rhomben.
    »Wenn Sie wüssten, wie sehr ich mich freue, Sie zu sehen, Monsieur Maigret!«
    Er streckte die Hand aus, eine kleine weiße Hand, die wie knochenlos schien. Inmitten dieser Umgebung wirkte der Mann noch kleiner, als er tatsächlich war; klein, zerbrechlich und von einer eigentümlichen Schwerelosigkeit.
    Dabei war er nicht mager, sondern eher rundlich, und doch schien sein Körper kein Gewicht, keine Konsistenz zu haben.
    »Hier herüber, bitte. Nun, welcher Platz wäre Ihnen denn am liebsten?«
    Er deutete auf einen fahlroten Ledersessel neben seinem Schreibtisch.
    »Ich glaube, hier sitzen Sie am besten. Ich bin ein bisschen schwerhörig...«
    Sein Freund Bouvier hatte mit Recht gesagt, dass man Parendons Alter kaum zu schätzen vermochte. Sein Gesicht und seine blauen Augen hatten einen fast kindlichen Ausdruck bewahrt, und er blickte den Kommissar in einer Art Verzückung an.
    »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie oft ich an Sie gedacht habe. Bei jeder Ihrer Untersuchungen verschlinge ich die Zeitungen, um ja nichts zu verpassen. Ich würde fast sagen, ich laure gespannt auf Ihre Reaktionen.«
    Maigret war peinlich berührt. Er hatte sich mit der Zeit zwar an die Neugier der Öffentlichkeit gewöhnt, aber die Begeisterung eines Mannes wie Parendon war ihm unangenehm.
    »Ach, wissen Sie, ich reagiere, wie jedermann an meiner Stelle auch reagieren würde.«
    »Vielleicht wie jedermann... Doch einen Jedermann gibt es nicht. Das ist ein Mythos. Was kein Mythos ist, das ist das Strafgesetzbuch, das sind die Richter, die Geschworenen. Und die Geschworenen, die tags zuvor noch zu den Jedermanns gehörten,
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