Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und die alte Dame

Maigret und die alte Dame

Titel: Maigret und die alte Dame
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
hinüber, stieß beinahe Valentine um, die blutige Wäsche in den Händen hielt und ihn wie eine Nachtwandlerin ansah.
    Auf dem Bett, in dem Arlette geschlafen hatte, lag ausgestreckt ein Mann mit nacktem Oberkörper. Er hatte noch Hose und Schuhe an. Doktor Jolly stand über ihn gebeugt, sein Rücken verdeckte das Gesicht, aber der grobe blaue Stoff der Hose sagte Maigret schon genug.
    »Tot?« fragte er.
    Der Doktor zuckte zusammen, drehte sich um und richtete sich wie erleichtert auf.
    »Ich habe getan, was ich konnte«, stöhnte er.
    Auf dem Nachttisch lag eine Spritze. Auf dem Boden stand der offene Arztkoffer, in dem die Sachen unordentlich herumlagen. Überall war Blut zu sehen. Maigret stellte später noch eine blutige Schleifspur im Salon und eine draußen im Garten fest.
    »Als Valentine mich anrief, bin ich sofort gekommen, aber es war schon zu spät. Die Kugel traf die Aorta. Sogar eine Transfusion, wenn man sie noch hätte machen können, hätte nichts mehr geholfen.«
    »Haben Sie in meinem Hotel angerufen?«
    »Ja, sie bat mich, Sie zu benachrichtigen.« Sie stand ganz nah neben den beiden im Türrahmen, mit Blut an den Händen und auf dem Kleid. »Es ist entsetzlich«, sagte sie. »Wenn ich geahnt hätte, was noch geschehen würde, als Sie mich heute Abend besuchten! Und alles nur, weil ich wieder vergessen habe, den zweiten Schalter für die Lampe im Garten anzuknipsen.«
    Er vermied es, sie anzusehen, stieß einen Seufzer aus, als er das Gesicht von Henri Trochu sah, der nun auch tot war. Vielleicht dachte er schon daran, wie er es der Familie beibringen sollte und wie sie es aufnehmen würde.
    »Ich erkläre Ihnen alles.«
    »Ich kann es mir denken.«
    »Sie können es gar nicht wissen. Ich war hinaufgegangen und lag schon im Bett.«
    Er sah sie übrigens zum ersten Mal im Morgenrock. Sie hatte ihre Haare auf Lockenwickler gedreht und in aller Eile ein Kleid über ihr Nachthemd gezogen, das unten herausschaute.
    »Ich glaube, ich musste endlich eingeschlafen sein, als die Katze ganz plötzlich von meinem Bett heruntersprang. Davon bin ich wach geworden. Ich horchte. Ich hörte draußen Geräusche, wie die, als Sie heute Abend kamen.«
    »Wo war der Revolver?«
    »In meinem Nachttisch. Es ist der Revolver meines Mannes. Er hat mir angewöhnt, nachts immer einen in Reichweite zu haben. Ich glaube, ich habe es Ihnen schon erzählt.«
    »Nein, aber es ist nicht wichtig.«
    »Zuerst schaute ich aus dem Fenster, aber es war zu dunkel. Ich habe mir ein Kleid übergezogen und bin hinuntergegangen.«
    »Ohne Licht zu machen?«
    »Ja. Ich sah nichts, aber ich hörte, wie jemand versuchte, die Tür aufzumachen. Ich fragte: >Wer ist da?< Keiner antwortete.«
    »Haben Sie sofort geschossen?«
    »Ich weiß nicht mehr. Ich habe wohl ein paarmal gefragt, weil immer noch am Schloss herumhantiert wurde. Ich habe durch die Scheiben geschossen. Ich hörte, wie jemand hinfiel, und blieb noch eine Weile im Haus, weil ich mich nicht hinaustraute.«
    »Sie wussten nicht, wer es war?«
    »Ich hatte keine Ahnung. Erst dann fiel mir ein, draußen Licht zu machen. Durch die zerbrochene Scheibe sah ich jemand neben einem dicken Bündel liegen. Im ersten Augenblick meinte ich, es sei ein Landstreicher. Schließlich ging ich durch die Küchentür hinaus, und als ich näher kam, erkannte ich Henri.«
    »War er noch am Leben?«
    »Ich weiß es nicht. Ich rannte zu Mademoiselle Seuret, immer noch mit dem Revolver in der Hand. Ich rief laut zu ihr hinauf, sie solle aufstehen, weil ich telefonieren müsste, und schließlich machte sie mir auf. Ich rief Dr. Jolly an und bat ihn, Sie zu benachrichtigen oder Sie auf dem Weg hierher mitzunehmen.«
    »Und Theo?«
    »Er stand vor der Tür, als ich zurückkam.«
    »Kamen Sie allein zurück?« »Nein. Ich wartete auf der Straße auf den Doktor.«
    Der Doktor hatte gerade das Gesicht des Toten mit einem Leintuch zugedeckt und ging mit blutverschmierten Händen ins Badezimmer. Maigret und Valentine standen allein neben dem Toten, in diesem zu kleinen Zimmer, in dem man sich kaum bewegen konnte, und der Kommissar hatte immer noch seine Pfeife zwischen den Zähnen.
    »Was hat Theo zu Ihnen gesagt?«
    »Ich weiß es nicht mehr. Er hat nichts gesagt.«
    »Waren Sie nicht überrascht, ihn hier zu sehen?«
    »Vielleicht schon. Ich weiß nicht. Vergessen Sie nicht, dass ich gerade einen Menschen getötet habe. Warum, glauben Sie, wollte sich Henri bei mir einschleichen?«
    Er gab keine Antwort, ging
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher