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Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes

Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes

Titel: Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes
Autoren: Georges Simenon
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Schultern, legte die Beine übereinander, streckte sie von neuem aus.
    Um halb vier kam ein Anruf aus dem ›Citanguette‹.
    »Was Neues?« fragte er.
    »Nein. Der Mann schläft immer noch …«
    »Also, was ist los?«
    »Der Quai des Orfèvres hat sich hier gemeldet, um zu fragen, wo Sie sind. Sie sagen, der Untersuchungsrichter möchte Sie dringend sprechen.«
    Diesmal zuckte Maigret nicht die Schultern, sondern sagte etwas Unmißverständliches, legte auf, verlangte die Telefonistin.
    »Das Gerichtsgebäude, Mademoiselle! Es eilt!«
    Er wußte so genau, was Coméliau sagen würde!
    »Hallo! Sind Sie es, Kommissar? … Endlich! Niemand konnte mir sagen, wo Sie stecken … Aber am Quai des Orfèvres hat man mich wissen lassen, daß Sie zwei Beamte im Citanguette postiert haben. Ich ließ dort anrufen …«
    »Was gibt’s?«
    »Erstens, hat sich bei Ihnen etwas Neues ergeben?«
    »Absolut nichts. Der Mann schläft … «
    »Sie sind ganz sicher? … Er ist Ihnen nicht etwa entwischt?«
    »Ich kann fast ohne Übertreibung behaupten, daß ich ihn genau in diesem Moment schlafen sehe …«
    »Wissen Sie, ich fange an zu bereuen, daß …«
    »Daß Sie auf mich gehört haben? Aber der Justizminister hat sich doch höchstpersönlich einverstanden erklärt?«
    »Warten Sie! … Die Morgenzeitungen haben Ihre Mitteilung veröffentlicht …«
    »Das hab ich gesehen.«
    »Aber haben Sie auch die Mittagszeitungen gelesen? … Nein? … Dann beschaffen Sie sich Le Sifflet … Ja, ich weiß, ein Revolverblatt. Trotzdem! … Bleiben Sie einen Augenblick am Apparat … Hallo! … Sind Sie noch da? … Ich lese Ihnen vor … Es ist ein Kommentar des Sifflet, betitelt ›Staatsräson‹ … Hören Sie mich, Maigret? Also:
    Heute morgen stand in den Zeitungen eine halboffizielle Meldung, laut welcher Joseph Heurtin, der vom Schwurgericht des Seine-Departements zum Tode verurteilt wurde und im Hochsicherheitstrakt der Santé inhaftiert war, unter unerklärlichen Umständen ausgebrochen ist.
    Wir sind in der Lage hinzuzufügen, daß diese Umstände nicht ganz so unerklärlich sind.
    Denn Joseph Heurtin ist nicht einfach ausgebrochen, man hat ihn vielmehr zum Ausbrechen gezwungen. Und zwar am Vorabend seiner Hinrichtung.
    Es ist uns vorläufig noch unmöglich, Einzelheiten über die widerliche Komödie bekanntzugeben, die gestern nacht in der Santé aufgeführt worden ist, aber wir versichern unseren Lesern, daß es die Polizei selber war, die im Einverständnis mit der Justizbehörde bei der simulierten Flucht Regie geführt hat.
    Weiß das Joseph Heurtin?
    Wie dem auch sei – ein solches in den Annalen der Kriminalistik wohl einmaliges Manöver spottet jeder Beschreibung. «
     
    Maigret hatte bis zum Schluß gelassen zugehört. Die Stimme des Richters wurde etwas unsicher.
    »Was sagen Sie jetzt?«
    »Das beweist, daß ich recht habe. Le Sifflet hat das alles nicht auf eigene Faust herausgefunden. Es war auch keiner der sechs eingeweihten Beamten, der geplaudert hat … Es ist –«
    »Es ist?«
    »Das sage ich Ihnen heute abend … Es ist alles in Ordnung, Monsieur Coméliau! «
    »Glauben Sie wirklich? Und wenn alle anderen Zeitungen diese Meldung übernehmen?«
    »Dann gibt’s einen Skandal.«
    »Na, sehen Sie!«
    »Ist der Kopf eines Mannes nicht einen Skandal wert?«
    Fünf Minuten danach ließ Maigret sich mit dem Polizeipräsidium verbinden.
    »Wachtmeister Lucas? … Hören Sie zu! … Sie laufen jetzt schnell zur Redaktion des Sifflet an der Rue Montmartre … Knöpfen Sie sich den Chefredakteur unter vier Augen vor … Schüchtern Sie ihn ruhig ein bißchen ein! Wir müssen wissen, wo er die Information über den Ausbruch aus der Santé herhat. Ich leg meine Hand ins Feuer, daß er heute morgen einen Brief oder eine Rohrpostmitteilung bekommen hat … Beschaffen Sie sich das Original und bringen Sie es mir hierher … Verstanden?«
    Die Telefonistin fragte:
    »Fertig?«
    »Nein, Mademoiselle. Geben Sie mir nochmals das ›Citanguette‹.«
    Etwas später wiederholte Inspektor Dufour:
    »Er schläft! Eben hab ich wieder eine Viertelstunde lang an seiner Tür gehorcht. Und ich hab gehört, wie er im Traum stöhnte:
    ›Mutter!‹«
     
    Während er sein Fernglas auf das geschlossene Fenster im ersten Stock des ›Citanguette‹ gerichtet hielt, sah Maigret den Schläfer vor seinem inneren Auge so klar und wirklich, als säße er an seinem Bett.
    Dabei hatte er ihn erst im vergangenen Juli kennengelernt, an dem Tag, da er,
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