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Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes

Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes

Titel: Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes
Autoren: Georges Simenon
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…«
    Wieder einige Stunden später befragte Maigret den Blumenhändler Gérardier in der Rue de Sèvres und entdeckte die bewußten Schuhe an den Füßen des Laufburschen Joseph Heurtin.
    Danach brauchte man nur noch die Fingerabdrücke zu vergleichen. Diese Prozedur fand in den Räumen des Erkennungsdienstes im Gerichtsgebäude statt.
    Die Experten beugten sich mit gezückten Instrumenten über die Unterlagen und kamen augenblicklich zum Schluß:
    »Er ist es!«
     
    »Warum hast du das getan?«
    »Ich hab sie nicht getötet.«
    »Wer hat dir Madame Hendersons Adresse gegeben?«
    »Ich hab sie nicht getötet!«
    »Was hast du um zwei Uhr morgens in ihrer Villa gemacht?«
    »Ich weiß nichts.«
    »Wie bist du aus Saint-Cloud zurückgekommen?«
    »Ich bin nicht aus Saint-Cloud zurückgekommen.«
    Er hatte einen dicken bleichen Kopf mit häßlichen Buckeln. Und seine Lider waren gerötet wie die eines Menschen, der seit Tagen nicht geschlafen hat.
    In seinem Zimmer an der Rue Monsieur-le-Prince wurde ein mit Blut verschmiertes Taschentuch gefunden, und die Chemiker bestätigten, daß es Menschenblut war; sie entdeckten sogar Bazillen, die sich auch in Madame Hendersons Blut gefunden hatten.
    »Ich hab sie nicht getötet …«
    »Wen möchtest du als Anwalt?«
    »Ich will keinen Anwalt …«
    Man bestellte einen Pflichtverteidiger. Maître Joly war erst dreißig Jahre alt und gab sich große Mühe.
    Die Psychiater beobachteten Heurtin während sieben Tagen, worauf sie erklärten:
    »Keinerlei Anomalie! Der Mann ist für seine Handlungen verantwortlich, ungeachtet seiner derzeitigen Depression, die einem heftigen Nervenschock zugeschrieben werden muß.«
    Die Urlaubszeit hatte begonnen. Ein anderes Ermittlungsverfahren rief Maigret nach Deauville. Für Untersuchungsrichter Coméliau war der Fall klar, und die Anklagekammer bejahte die Schuldfrage.
    Und doch: Heurtin hatte nichts gestohlen, er hatte kein offenkundiges Interesse am Tod von Madame Henderson und ihrer Zofe.
    Maigret hatte seinen Lebenslauf soweit wie möglich zurückverfolgt. Er kannte ihn jetzt in allen seinen Lebensphasen, körperlich wie seelisch.
    Geboren war er in Melun. Zu jenem Zeitpunkt arbeitete sein Vater als Kellner im Hôtel de la Seine, seine Mutter war Wäscherin.
    Drei Jahre später übernahmen seine Eltern ein Bistro unweit der Strafanstalt. Aber die Geschäfte gingen schlecht, und so zogen sie nach Nandy im Departement Seine-et-Marne, wo sie ein Wirtshaus eröffneten.
    Joseph Heurtin war sechs Jahre alt, als seine Schwester Odette zur Welt kam.
    Maigret besaß ein Bild von ihm im Matrosenanzug, vor dem Bärenfell kauernd, auf dem das kugelrunde Baby lag und seine Ärmchen und Beinchen in die Luft streckte.
    Mit dreizehn Jahren versorgte Joseph die Pferde und half seinem Vater beim Bedienen der Gäste.
    Mit siebzehn war er als Kellner in einem eleganten Gasthaus in Fontainebleau tätig.
    Mit einundzwanzig, nach beendetem Militärdienst, kam er nach Paris, nahm ein Zimmer in der Rue Monsieur-le-Prince und wurde Laufbursche bei Monsieur Gérardier.
    »Er las viel«, hatte Monsieur Gérardier gesagt.
    »Sein einziges Hobby war das Kino«, hatte seine Pensionswirtin gesagt.
    Aber zwischen ihm und der Villa in Saint-Cloud gab es keine sichtbare Verbindung.
    »Bist du früher schon nach Saint-Cloud gefahren?«
    »Nie!«
    »Was hast du sonntags gemacht?«
    »Gelesen.«
    Madame Henderson zählte nicht zu den Kunden des Blumenhändlers. Es gab keinen ersichtlichen Grund, warum ausgerechnet ihre Villa für einen Einbruch hätte in Frage kommen sollen. Überdies war ja nichts entwendet worden!
    »Warum redest du nicht?«
    »Weil ich nichts zu sagen habe.«
    Maigret war einen Monat in Deauville geblieben, wo er nach einer internationalen Betrügerbande fahndete.
    Im September hatte er Heurtin in seiner Zelle in der Santé besucht. Er hatte ein Wrack vorgefunden.
    »Ich weiß von nichts! Ich hab niemanden ermordet!«
    »Du warst aber doch in Saint-Cloud …«
    »Sie sollen mich alle in Ruhe lassen …«
    »Ein klarer Fall«, hatte die Staatsanwaltschaft erklärt. »Die Verhandlung findet nach den Gerichtsferien statt.«
    Am 1. Oktober hatte das Schwurgericht seine neue Sitzungsperiode mit dem Heurtin-Prozeß eröffnet.
    Maître Joly hatte seine Verteidigung darauf beschränken müssen, ein Gegengutachten über den Geisteszustand seines Klienten zu verlangen. Und der von ihm beauftragte Psychiater hatte ausgesagt:
    »Verminderte
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