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Maigret 17

Maigret 17

Titel: Maigret 17
Autoren: Simenon
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fortfuhr.
    Sie beugte sich zudem vor, bis nahe an sein Gesicht, und nahm eine geheimnisvolle, wichtigtuerische Miene an.
    »Auch gleich tot – habe ich das wirklich gesagt? Also, reden wir von dem Geld. Für zwanzigtausend Francs, und vielleicht noch mal zwanzigtausend, die hinterher dazugekommen wären … Man weiß nie. Ich sage, was ich denke. Denn solche Sachen werden nicht auf einmal bezahlt. Sylvie …«
    »Wußte sie davon?«
    »Wenn ich Ihnen doch sage, daß mir niemand was erzählt hat! Hat’s nicht an der Tür geklopft?«
    Sie war plötzlich vor Schreck ganz starr geworden. Um sie zu beruhigen, mußte Maigret hinausgehen und nachsehen. Als er wiederkam, hatte sie die Gelegenheit genutzt und sich noch ein Glas genehmigt.
    »Ich habe Ihnen nichts gesagt! Ich weiß von nichts! Verstehen Sie? Ich bin nur eine arme Frau. Eine arme Frau, die ihren Mann verloren hat und die …«
    Wieder brach sie in Tränen aus, und das war noch viel peinlicher als alles übrige.
    »Was hat William Ihrer Meinung nach an jenem Tag zwischen zwei und fünf Uhr gemacht, Jaja?«
    Sie sah ihn an, ohne zu antworten und ohne mit dem Weinen aufzuhören. Die Tränen wirkten allerdings etwas weniger echt.
    »Sylvie ist kurz vor ihm gegangen. Sie hätten ja zum Beispiel …«
    »Wer?«
    »Sylvie und William …«
    »Und was hätten sie?«
    »Was weiß ich! Sich irgendwo treffen können. Sylvie ist nicht häßlich, und sie ist jung. Und William …«
    Er ließ keine ihrer Reaktionen aus den Augen und fuhr mit betonter Gleichgültigkeit fort:
    »Sie treffen sich irgendwo, und Joseph hat ihnen aufgelauert und sticht zu.«
    Sie sagte nichts, sie starrte nur mit gerunzelter Stirn Maigret an, als hätte sie Mühe zu verstehen. Die Mühe war erklärlich, denn ihr Blick war verschwommen, und auch ihren Gedanken fehlte es wohl an Klarheit.
    »Harry Brown erfährt von der Geschichte mit dem Testament und gibt den Auftrag zu dem Verbrechen. Sylvie schleppt William an einen geeigneten Ort. Joseph führt die Tat aus. Dann wird Harry Brown in ein Hotel in Cannes gebeten, um Sylvie das Geld zu übergeben …«
    Sie rührte sich nicht. Sie hörte nur zu, fasziniert vielleicht, vielleicht nur stumpf.
    »Joseph ist festgenommen worden, und er schickt Sie zu Harry, Sie sollen ihm sagen, wenn er ihn nicht freibekommt, packt er aus.«
    Sie schrie förmlich:
    »So war es! Genau so war es!«
    Sie hatte sich erhoben und rang nach Luft. Sie schien sich nicht entscheiden zu können, ob sie weinen oder lachen sollte.
    Plötzlich nahm sie mit einer krampfhaften Bewegung den Kopf in beide Hände, zerwühlte ihr Haar und stampfte auf den Boden.
    »So war es! Und ich … ich, die …«
    Maigret blieb sitzen und sah erstaunt zu. Würde sie einen Nervenzusammenbruch bekommen oder in Ohnmacht fallen?
    »Ich … Ich …«
    Es war nicht vorherzusehen gewesen. Sie packte auf einmal die Schnapsflasche, warf sie zu Boden und stürzte mit lautem Krachen hinterher.
    »Und ich …«
    Durch die beiden Türen sah man nur den schwachen Schimmer der Gaslaterne, und der Kellner von gegenüber machte seine Läden zu. Es mußte schon sehr spät sein. Seit langem war keine Straßenbahn mehr zu hören gewesen.
    »Ich will nicht, verstehen Sie!« kreischte sie. »Nein! Nicht das! Ich will nicht! Es ist nicht wahr! Es ist …«
    »Jaja!«
    Aber es machte keinen Eindruck auf sie, daß er ihren Namen rief. Sie war auf dem Gipfel ihrer Raserei angelangt, und ebenso plötzlich, wie sie die Flasche ergriffen hatte, bückte sie sich jetzt, hob etwas vom Boden auf und schrie:
    »Nicht Hagenau! Es ist nicht wahr! Sylvie hat nicht …«
    In seiner ganzen bisherigen Laufbahn hatte Maigret keine derart fürchterliche Szene erlebt. Es war eine Glasscherbe, die Jaja in der Hand hielt, und während sie sprach, schnitt sie sich ins Handgelenk, da wo die Arterie lag.
    Die Augen traten ihr aus dem Kopf, sie schien wahnsinnig geworden zu sein.
    »Hagenau … Ich … Nicht Sylvie!«
    Ein Blutstrahl schoß hervor, gerade als es Maigret endlich gelungen war, sie an den Armen zu packen. Er bekam Blut auf die Hand und auf die Krawatte.
    Einige Sekunden lang betrachtete Jaja verdutzt und ratlos das rote Blut, das über ihre Hand floß und das ihr eigenes war. Dann sank sie zusammen. Maigret hielt sie einen Augenblick fest, dann ließ er sie zu Boden gleiten und versuchte, mit dem Finger die Arterie zuzudrücken.
    Er brauchte ein Stück Schnur und blickte entsetzt um sich, bis er ein elektrisches Kabel entdeckte, an
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