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Magie und Schicksal - 2

Magie und Schicksal - 2

Titel: Magie und Schicksal - 2
Autoren: Michelle Zink
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von ihm
abwenden; mein Mund bewegt sich wie von selbst und spricht in einem monotonen Singsang die Worte der Prophezeiung aus. Der Stein ruft nach mir, und ich falle in einen merkwürdigen Zustand der Verzückung, empfinde fast eine Art Begierde. Es ist, als würde ich alle Fesseln lösen, die mich binden, und mich an meiner grenzenlosen Freiheit ergötzen.
    Aber dieses Hochgefühl dauert nur wenige Sekunden. Dann explodiert das Licht geradezu, das von dem Stein ausgeht, und wird zu einem Gleißen, das wie ein hungriges Tier auf uns zurast. Ich schließe die Augen, aber das Licht lässt sich nicht aussperren und blendet mich noch durch die Augenlider.
    Dann sind da plötzlich Bilder.
    James und ich am Fluss von Birchwood. Wie jung wir aussehen!
    Henry, dessen fröhliches Gesicht mir zugewandt ist, während wir uns lachend über ein Buch im Salon beugen.
    Luisa, Sonia und ich, die wir uns an den Händen fassen, die weiche Haut an unseren Handgelenken gezeichnet durch die Prophezeiung.
    Und schließlich Dimitris Gesicht, sein Körper auf meinem, erleuchtet durch das flackernde Licht der Flammen in meinem kleinen Zimmer in Avebury.
    Dann gibt es nur noch Schwärze. Erleichterung durchströmt mich, während ich mich in dieses Schwarz hineinfallen lasse. Bin ich tot? Aber nein, so einfach ist es nicht. Einen Moment später öffne ich die Augen. Ich stehe an
demselben Strand, an dem ich mich schon einmal befunden habe, an dem Strand, an dem ich von den Anderswelten und der Macht der Gedanken erfahren habe. Der Ozean leckt an meinen Füßen, und da ist auch die Klippe mit den Höhlen, die den Strand zu meiner Linken begrenzt.
    Ich schaue mich um. Ich bin unsicher. Jetzt, da ich hier bin, habe ich keine Ahnung, wie ich das Ende der Prophezeiung herbeiführen soll. Es kommt mir so merkwürdig vor, dass ich nach all der Zeit, in der ich den Seelen aus dem Weg gegangen bin, nach allem, was geschehen ist, sie nun beschwören, sie zu mir rufen will, aber ich bin der festen Überzeugung, dass dies meine Aufgabe ist. Wenn der einfache Wunsch genügen würde, um das Tor zu schließen, hätte ich schon längst gesiegt. Aber hier stehe ich in den Anderswelten, durch die Macht des Steins, der Schlüssel und die Macht der Beschwörungsformel. Ich kann nur vermuten, dass mein irdischer Körper mit den anderen Frauen noch im Kreis steht. Dass sie noch immer die Worte der Beschwörung aufsagen. So haben wir es vereinbart. Ich dagegen weiß mit absoluter Sicherheit, dass es an mir ist, das Untier herbeizurufen, obwohl ich in den letzten zwei Jahren mein Möglichstes getan habe, um mich ihm zu verweigern.
    Der Strand erscheint mir dafür kein geeigneter Ort zu sein, mit der endlosen Wasserfläche auf der einen und der Klippe auf der anderen Seite. Ich möchte den Seelen auch nicht im Abgrund begegnen. Ich mag zwar dort enden,
aber ich will Samael die Sache so schwer wie möglich machen.
    Nein, ich möchte den Seelen und Samael auf mir vertrautem Terrain entgegentreten, und in dem Moment, in dem ich das denke, weiß ich auch, wohin ich gehen werde. Ich muss daran denken, was Sonia mir vor so langer Zeit gesagt hat, als das Reisen mit den Schwingen noch neu und fremd für mich war.
    Gedanken sind mächtig, Lia. Besonders in den Anderswelten .
    Ich denke an Birchwood, an die sanften Hügel, die sich in alle Richtungen erstrecken. An die Wälder, die den Horizont säumen, und an den Fluss, der hinter dem Anwesen fließt. An den Friedhof, wo Henry neben meinem Vater und meiner Mutter begraben liegt.
    Es ist tröstlich und schmerzvoll zugleich. Ein passendes Ende für die Prophezeiung.
    Eine Sekunde später bin ich in der Luft, fliege über die Klippe, über Sanddünen und Seegras, das allmählich in eine graugrüne Ebene übergeht, die wiederum schließlich saftig grünen Wiesen weicht. Unter mir ist es lebendig: Tiere aller Art und Größe kommen aus der Richtung gerannt, in die ich fliege, als ob sie vor einem Feuer fliehen würden. Nicht einmal sie wollen dort verweilen, wohin ich mich wenden muss. Nur ich bewege mich auf das Untier zu; alle anderen weichen ihm aus.
    Aber mir bleibt keine Zeit, um mich mit solchen Gedanken zu beschäftigen. Ich nähere mich festem Boden,
und ich kann nicht umhin, mich erneut über die Macht der Schwingen zu wundern. Man muss nur an eine Person denken oder an ein Vorhaben, und schon wird man dorthin gebracht, wo man sein will, allein durch die Kraft des Gedankens.
    Als ich die Erde berühre, erwarte ich das
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