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Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt

Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt

Titel: Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
Autoren: Sven Regener
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Hamburger Schüler zwischen sechs und zehn
Jahren, wenn sie hier ihre hundert Tage Behandlung bekamen, hinterher
schulisch gesehen nicht noch weiter zurückhängen sollten als ohnehin schon,
und das war nichts für mich, dieser Lehrer- und Erzieheranblick am frühen
Morgen und dann eventuell auch noch Ärzte und Therapeuten, nein danke, danke,
danke, aber auch danke, Mutter, für diesen schönen Job, denn meine Mutter
hatte ihn mir besorgt, Werner war dagegen gewesen, schon wegen
Alkoholikerchefhausmeister Rüdiger, aber meine Mutter war ein hohes Tier beim
Senator für Soziales, und da hatte Werner nichts zu melden, da musste er als
Schweinchen im Garten des sozialen Epikurs mal kurz ruhig sein und meine Mutter
machen lassen, denn meine Mutter war befreundet mit Dr. Selge, und die war
Psychiaterin und Chefin vom Kinderkurheim Elbauen, und so kam eins zum anderen
und ich hierher, wo ich nun den Eingang hintenrum direkt in die Werkstatt nahm,
das machte ich immer so, das war okay und allgemein anerkannt, ich hatte mir
dafür einen eigenen Schlüssel besorgt und war schon so lange hier, dass auch
Dr. Selge mich nicht mehr jeden Morgen sehen und von mir wissen wollte, ob ich
den Weg mit der S-Bahn ganz alleine und ohne Ab- und Umwege und ohne Schweißausbrüche
bewältigt hatte.
    Ich
mischte gerade den
Babybrei für die beiden kleinen, böse aussehenden Affen, von denen niemand
mehr wusste,
welche Sorte sie waren, Namen hatten sie wohl, sie hießen Jimmy und Johnny,
aber ihre Sorte war unbekannt, der alte Tierpfleger, Herr Munte, hatte das
Wissen darum mit ins Grab genommen und sonst interessierte es keinen,
Hauptsache einer gab ihnen das Futter und das war ich, sie bekamen immer
Babybrei mit Bananenstücken drin und ab und zu Mehlwürmer, und manchmal tat
ich ihnen die Mehlwürmer auch in den Babybrei, da fuhren sie drauf ab, die
kleinen Leckermäuler, es war immer niedlich anzusehen, wie sie die Mehlwürmer
da rauspulten, ich mischte also gerade den Babybrei für die beiden kleinen
Primatenfreaks, als ich hinter den Säcken mit Heu und Streu und Futterkram, die
in der Zooküche die Hälfte vom Platz einnahmen, ein Geräusch hörte, und ich
hatte schon Angst, dass das vielleicht Ratten waren, als im selben Augenblick
die Tür aufging und Hartmut, einer der Erzieher, reinschaute.
    »Hast du
einen von unseren Jungs gesehen?«
    »Nein.«
    »So ein
kleiner …« Er zeigte, wie klein. »Ist schon angezogen. Ist weg. Die Penner
vom Nachtdienst, die merken auch gar nichts!«
    »Okay, wenn
ich ihn sehe, was soll ich machen?«
    »Ihn
festhalten und eben anrufen. Nicht, dass der ausbüxt.«
    Und dann
war Hartmut wieder draußen.
    »Du kannst
rauskommen«, sagte ich zu den Säcken.
    Es
raschelte wieder, aber niemand kam raus. Vielleicht waren es doch Ratten. Ich
nahm eine Schaufel, die in der Ecke stand, und hielt sie in der rechten Hand
bereit, während ich mit links die Säcke umschichtete.
    »Ihr scheiß
Ratten, ich hau euch tot!«, rief ich.
    Ratten im
Zoo waren der größte anzunehmende Unfall, die Kaninchen würden sich einscheißen
oder getötet werden und die Affen würden ausflippen und Seuchen würden über
den Zoo kommen und das ganze Futter würde angefressen, der alte Tierpfleger,
Herr Munte, hatte da immer so Horrorgeschichten erzählt, von Rüdiger, dem
Hausmeister, ganz zu schweigen, der hatte ihm nicht nur eifrig zugestimmt,
Rüdiger hatte immer noch einen draufgesetzt; wenn bei Herrn Munte alle
Kaninchen tot gewesen waren, dann waren es bei Rüdiger immer gleich die
Kaninchen und die Schildkröten auch noch, und wenn bei Herrn Munte Seuchen über
die Tiere kamen, dann brach bei Rüdiger auch noch gleich die Pest unter den Menschen
aus, Rüdiger war ganz besessen von Ratten, der alte Wirkungstrinker, bloß keine
Ratten, bloß keine Ratten, vielleicht war es auch das drohende Delirium
tremens, das ihm Angst machte, bloß keine Ratten, bloß keine Ratten, ich hatte
irgendwann nach dem Tod von Herrn Munte die Frühstückspause mit Rüdiger
verweigert, weil ich es nicht mehr hören konnte, er hörte ja nicht etwa auf damit,
als Herr Munte tot war und nicht mehr mitmachen konnte, im Gegenteil, er
übernahm Herrn Muntes Part in dem ganzen Rattengequatsche gleich noch mit, das
hatte sich irgendwann ins Groteske gesteigert, aber das war nun alles
Geschichte, weil Rüdiger seine Schlüsselgewalt mittlerweile von zuhause ausübte
und mich ansonsten die ganze Arbeit machen ließ, was mir verdammt recht war.
    »Ihr
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