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Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt

Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt

Titel: Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
Autoren: Sven Regener
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Wunder, dann hast du ja alles verpasst!«
    »Natürlich
habe ich alles verpasst«, platzte es aus mir heraus, bevor ich richtig
nachdenken konnte, das ging noch nicht so schnell damals, ich hatte das noch
nicht so gut im Griff, den Ärger, den Zorn, die ganze Gefühlssause, »was
denkst du denn?! Das war doch die Idee davon, ich bin ja nicht hierhergekommen,
weil hier der Bär steppt, das ist Hamburg-Altona, Mann, hier kommt man her, um
…« – mir fehlten die Worte, ja, warum kam man hierher? Um zu überleben? Das
klang mir zu dramatisch. Um zu wohnen? Als ob es woanders keine Drogen-WGs
gäbe, als ob nicht eigentlich sogar eine Drogen-WG in der Nähe des Altonaer
Bahnhofs eine ziemlich dumme Idee war, »… um alles zu verpassen«, brachte ich
schließlich den freudlosen Satz zu Ende.
    »Ja, ja,
schon gut«, sagte Raimund. »Ich hol mir noch ein Bier, du auch eins?«
    »Kaffee.
Filterkaffee, groß, schwarz.« Ich hatte keine Lust mehr zu reden. Und ich hatte
keine Lust mehr auf den Eisbecher. Ich wollte aber auch nicht gehen. Dass es
ausgerechnet Raimund sein musste, der mich hier aufspürte! Hätte es nicht
Frankie sein können oder sonst jemand Nettes, Heidi oder Isabella oder wegen
mir auch Erwin Kächele oder wie sie alle geheißen hatten, jedenfalls jemand von
der warmen Seite, denn meine Vergangenheit hatte zwei Seiten gehabt, eine warme
und eine kalte, so sah ich das damals, so wie es warme und kalte Drogen gab,
Klaus-Dieter, der alte Multitox, hatte mir das mal erklärt, kalt Speed, warm
Heroin oder so, »die warmen sind gefährlicher«, hatte er noch gesagt, aber als
ich ihn gefragt hatte, ob Alkohol zu den warmen oder den kalten gehört, hatte
er »beides« gesagt, der alte Quatschkopf.
    Raimund kam
wieder und stellte mir einen Kaffee hin, es war der falsche Kaffee, eine
verlängerte Plörre aus dem Espressovollautomaten, ein Quatschkaffee, den man
als solchen gleich an den vielen sinnlosen Schaumbläschen erkannte, die darauf
herumschwammen. Raimund hatte recht, das Eiscafé »La Romantica« war grottig,
ein Musterbeispiel für die Talentlosigkeit der Altonaer Gastronomie, die
einen irgendwie immer an Schultheateraufführungen erinnerte.
    »Wahrscheinlich
darfst du überhaupt kein Bier«, sagte Raimund und prostete mir dabei zu. Er
schluckte und schluckte, während ich pro forma die Kaffeetasse hob und gleich
wieder abstellte. Draußen hatte es zu regnen begonnen und durch die Tür, die der
Letzte, der gegangen war, offen gelassen hatte, drang das Wischgeräusch von
Autoreifen auf nasser Straße herein.
    »Muss hart
sein«, sagte er, und plötzlich erinnerte ich mich, warum ich ihn immer so gern
gehabt hatte: Bei Raimund Schulte wurde nicht drumherum geredet, bei ihm war
immer alles eins zu eins, keine Hintergedanken, keine Anspielungen, kein
Subtext, keine Metaphern, keine Rücksichten. Natürlich war das kalt, aber auch
toll.
    »Nicht so
schlimm«, sagte ich. »Solange man rauchen kann, geht’s.«
    »Rauchen
hab ich mir abgewöhnt«, sagte er, »aber kein Bier, das ist hart. Darfst du denn
kiffen? Ich dachte, das war bei dir wegen dem Koks gewesen oder Speed oder was

    »Schwer zu
sagen«, sagte ich. »Ich darf gar nichts mehr.«
    »Aber ihr
kriegt doch immer so Pillen«, ließ Raimund nicht locker. »Was gibt’s denn da
so?«
    »Kommt
drauf an, was man hat«, sagte ich.
    »Was hast
du denn gekriegt?«
    »Die waren
nicht so toll«, sagte ich. »Ich hab sie abgesetzt.«
    »Wieso
nicht so toll?«
    Ich hatte
schon zu viel gesagt. Ich hatte keine Lust, Raimund Schulte zu erzählen, wie
fett ich von den Pillen geworden und wie grau alles gewesen war und dass die
Dinger mich impotent gemacht hatten und wie ich mich über nichts mehr hatte
aufregen oder freuen können. Jetzt war zwar immer noch alles grau, aber das
hatte mehr mit Hamburg-Altona zu tun, und es gab nicht viel zu freuen, aber das
hatte mit Werner und der WG und dem Job zu tun, und das war irgendwie besser
und ich konnte mich wenigstens wieder darüber aufregen.
    »Es ist
nicht die Art von Pillen, an denen du Freude hättest, Raimund.«
    »Ja,
wahrscheinlich, sonst würde man sowas ja wohl mal angeboten kriegen. Und du
darfst gar nichts mehr nehmen? Kein Bier, kein Hasch, gar nichts?«
    »Nur Kaffee
und Zigaretten.«
    »Und ist
das schwer?«
    »Ja,
manchmal.«
    »Sag ich
doch!« Raimund nahm sich eine meiner Zigaretten. »Ich nehm mir mal eine.«
    »Klar. Ich
dachte, du rauchst nicht mehr«, sagte ich und gab ihm Feuer.
    »Nur noch
ganz
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