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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
Autoren: Ulla Lachauer
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ist eifersüchtig. Statt mich an Mutter zu hängen, nahm ich jetzt oft den Weg über den Hof und ging zu Großvater.
    «Ja, geh nur zum Opa!», sagte Mutter, wenn sie mich nicht brauchen konnte, weil sie sich um den Bruder oder um Vaters Buchhaltung kümmern musste. Nichts lieber als das.
    «Komm, Strubele!», rief mir Großvater entgegen. Auf, auf, schnell dorthin, wo die Liebe zu haben ist. Wie ein Hündchen mit wedelndem Schwanz lief ich quer über den Hof.
    Schon in der Werkstatttür hatte mich Großvater auf dem Arm. Ich umhalste ihn und krallte meine Hände in seinen seidigen weißen Bart.
    «Strubele, was machen wir zwei denn heute?»
    Eigentlich spielte der pensionierte Malermeister Daniel Eglin hier nur noch eine Gastrolle. Ganz verzichten auf Arbeit mochte er nicht, er machte ein paar Dinge weiter, die er gern hatte, je nach Laune. Wie seinerzeit bei den Handwerken üblich, war unser Betrieb sehr vielseitig. Küchenschränke anmalen gehörte dazu. Vor Weihnachten stand alles voll mit Kinderkaufläden und Puppenstuben. Auf diese kleinen, kniffligen Aufträge hat sich Großvater gestürzt. Wände dagegen und andere große Flächen waren Vaters Terrain, alles, was außerhalb zu erledigen war. Heilige restaurieren wiederum war natürlich Großvaters Sache. Auf dem halbhohen Sims links von der Eingangstür standen immer Dutzende Antoniusse und Josefe, Madonnenfiguren, große und kleine, und warteten. Alle brauchten sie neue Farbe.
    Und zum Farbenanrühren brauchte Großvater mich, Magdalena. Wir hatten einen Farbschrank, der war deckenhoch, er nahm die ganze Seitenwand ein und hatte lauter Schübe, wie Mehlschubladen beim Krämer. Da Großvater herzkrank war und ihm schnell schwindlig wurde, musste ich auf die lange Leiter steigen.
    «Hol mir ein Becherle Umbra.» Ich wusste genau, wo sich das Umbra befand. Großvaters Anweisungen, «dritte Schublade von rechts, ganz oben», brauchte ich bald nicht mehr.
    «Noch ein bissle rüberlange mit der Hand, da findest du das Siena.»
    «Weiß ich doch, Großvater!»
    «Und noch ein Becherle Neapelgelb.»
    Das mochte ich besonders, wie Eigelb mit Sahne verrührt sah es aus. Es befand sich in der untersten Reihe. Im Zweifelsfall konnte ich die kleine Farbborte sehen. Nase drauf und das linke Auge ein klein wenig fokussieren, ja, das ist «Neapelgelb», ja, das war «Elfenbein schwarz». Mit vier oder fünf Jahren konnte ich die Reihenfolge der Farbläden von oben nach unten und links nach rechts runterbeten. «Zwei Schöpferle Schweinfurter Grün, Magdalena», ordnete Großvater vom Fuße der Leiter an, und ich hielt den kleinen Becher fest am Henkel und fuhr mit ihm in die Schublade hinein. «Das darfst du nicht einatmen, Strubele. Schweinfurter Grün ist giftig.»
    So lernte ich die Farben und ihre Eigenschaften kennen und ihnen die geheimnisvollen Namen zuordnen, die die Welt für sie erfunden hat: die Farbpigmente auf natürlicher Basis, Erdfarben wie Umbra und dessen Schattierungen von Leberbraun bis Kastanienbraun, die Nuancen des Ocker. Die chemischen Farben, giftige Oxyde, zum Beispiel Kadmiumgelb, das an Zitronen erinnerte, das grelle, rosthemmende Mennige rot. Am interessantesten war das Mischen, dabei hab ich, wann immer es ging, zugeschaut.
    «Was ist, wenn man Blau ins Grün macht?»
    «Dann gibt es Türkis.» Großvater antwortete geduldig.
    Was wäre meine Kindheit ohne ihn gewesen? Keine Woche in mehr als siebzig Jahren ist vergangen, ohne dass ich an ihn gedacht hätte. Manchmal erzählte er Geschichten aus anderen Zeiten, etwa von römischen Kaisern, die Purpurrot getragen hätten, um das Volk zu beeindrucken – ein ins Violette gehendes, respektgebietendes, manchmal furchterregendes Rot.
    «Auch unser Erzbischof Gröber trägt es zu manchen Festen. Verstehst du, Magdalena?»
    Von diesem Conrad Gröber war bei uns zu Hause oft die Rede. Er wohnte ein paar Straßen entfernt von uns, ein hoher Herr, beinahe so alt wie mein Großvater Daniel Eglin.
    Natürlich verstand ich nicht immer alles, mir genügte, an Großvaters Seite zu sitzen und ihm zuzusehen. Er konnte mit dem Pinsel bestimmte Maserungen oder Astlöcher imitieren, dass man geglaubt hat, die Möbel wären aus Eiche oder Tanne. Je diffiziler, desto mehr Spaß machte es ihm. Mit Freude und Spannung verfolgte ich, wie er Wirtshausschilder erneuerte. Wie er den verblichenen Mantel einer hölzernen Maria mit strahlendem Blau versah und am Saum ein klares Gelb daransetzte. Der letzte Akt, während die
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