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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
Autoren: Ulla Lachauer
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oberen Bettrand «für abends, wenn ich nicht mehr da bin». So ungewöhnlich war es nicht, dass er am Abend nicht zu mir kam, oft genug hatte er Kegelclub, und ich dachte, das wird diesmal auch nicht anders sein. Nachts lauschte ich. Und noch eine Nacht und noch eine, kein Klimpern des Schlüsselbundes. Den hatte ich noch nie überhört, wenn Vater fidel vom Kegeln kam, die Haustür sich öffnete und aus der Masse der Schlüssel ein weiterer herausgezogen wurde, der seine Privatschublade öffnete, in der seine Schokolade war. Vater war ein Nascher, und er teilte fast nie.
    Vater kam nicht. Mutter schaltete viel den «Körting» an, der früher hauptsächlich samstags oder sonntags spielte. Im Radio wurde viel geschwätzt, Soldatenmusik gemacht, und mich störte den ganzen Vormittag niemand beim Spielen. Ich baute schöne, große Sterne am Wohnzimmertisch und murmelte vor mich hin: «Krieg. Krieg. Sieg.» Manchmal grölte ich «Sieg heil» wie die Männer im Radio. Später sagte Mutter: «Gott sei Dank ist Vater bei der Baukompagnie.»
    «Bauen die Häuser? Und wo?»
    «Fängst du schon wieder mit dem Fragen an!»
    «Wo ist Vater?»
    Ich erfuhr, dass sie einen «Westwall» machten, einen großen Graben mit Bunkern. Schon wieder ein neues fremdes Wort: «Bunker». Vater war im September 1939 nicht so weit weg. Er musste nicht wie viele andere Männer «nach Polen», sondern war «am Kaiserstuhl, an der Grenze zu Frankreich». Auf der anderen Seite lagen französische Soldaten auf der Lauer, diese saßen momentan nur da und schossen noch nicht.
    Nach einer Weile, im Frühjahr, konnten wir ihn sonntags besuchen, auf einem Bauernhof, der ziemlich dreckig war, mit angeschlossener Wirtschaft. Ein Bach floss direkt vor der Tür her. Das genoss ich überaus, wir Kinder konnten dort wunderbar herumrennen und allerhand anstellen. «Der Fuchs geht um» und «Goldne, goldne Brücke» und «Dornröschen war ein schönes Kind» spielten wir. Unweit war das Schloss Neuershausen, wo viele Soldaten und Pferde untergebracht waren. Einmal rief ich in die Menge: «Links, hinterm Hauptmann stinkt’s!» Und der lachte und sagte, das seien die Bollen von seinem alten Gaul. Viele Soldaten lachten mit, so fürchterlich laut, dass ich mich schämte.
    Im Krieg wurde ich nicht mehr so oft gescholten, weil Vater nicht da war und Mutter viel mehr im Geschäft zu tun hatte und Großvater oft zu müde war, mit mir etwas zu unternehmen. So brachte mir diese Zeit vor allem ziemlich viel Freiheit. Außerdem ging es glücklicherweise nun doch mit der Schule los. Zuerst hatte ich Angst, sie würden mich nicht lassen, ein Jahr war ich schon zurückgestellt worden.
    «Magdalena muss auf die Blindenschule», hatte eine Nachbarin zu Mutter gesagt. «Das kann ich nicht aushalten», war Mutters Antwort gewesen, ich hatte es genau gehört, obwohl ich ziemlich weit weg stand. «Mein Mann ist an der Front, und das Kind so weit fort. Nein!»
    Eines Tages nahm mich Mutter in ein großes Gebäude mit, ganz in unserer Nähe. «Wir gehen heute ins Schulamt. Sei brav.» Noch bevor die Dame in dem Büro etwas sagen konnte, ergriff Mutter das Wort:
    «Mein Mann hat strengstens verboten, dass seine Tochter auf die Blindenschule geht. Sie soll nicht ins Internat!» Nie hatte ich Mutter so energisch erlebt.
    «Ja, wenn sie in Freiburg bleiben soll, dann muss sie auf die Hilfsschule in der Rotlaubstraße.»
    «Nein, dafür ist die Magdalena viel zu gescheit. Und die bringt dort mit ihrem Temperament nur alles durcheinander.»
    Temperament? Das kannte ich doch von unserem alten Doktor, das ist so etwas wie Fieber. Sofort sprang ich auf:
    «Ich hab keine Temperatur, da, fühlen Sie doch mal!»
    Sie lachten, Mutter und die Dame. Irgendwie spürte ich, die Situation entspannte sich, und dann wandte sich die Schulamtsfrau mir zu.
    «Was kannst du sehen?»
    «Ich kann Bäume sehen», antwortete ich bestimmt. Ich sagte nicht, dass ich in der Regel alles, was hoch und grün war, für einen Baum hielt. Wenn sie mir einen grünen Elefanten hingestellt hätte, hätte ich den vielleicht auch für einen Baum gehalten.
    «Siehst du meine Nase?»
    «Ja.» Jetzt durfte ich keinen Fehler machen – und nicht zu viele Worte.
    Schließlich fragte die Dame Mutter, ob sie Geld hätte, mich auf eine Privatschule zu geben. Zwanzig Mark im Monat, nicht gerade wenig, dafür sei ich wirklich gut aufgehoben.
    «In Sicherheit», fügte sie leise hinzu. Was sollte dieses Wort hier?
    «Ja!» Mutter
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