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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
Autoren: Ulla Lachauer
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nicht.
    Über diesem Foto von 1934 habe ich im späteren Leben immer wieder gesessen und versucht, zu ergründen, was die beiden zusammengeführt haben mag. Sexuelle Anziehung, vermute ich, ihre Liebe war vor allem körperlich. Mehr fällt mir dazu auch jetzt nicht ein. Aber was wissen wir schon von unseren Eltern.
    Als sehr alte Frau hat mir meine Mutter anvertraut, sie hätte schon vor dem Krieg gemerkt, dass ihr Mann Johann es mit der Treue nicht genau nahm. Ein «Schwitier», sagt man im Alemannischen, eines unserer aus dem Französischen hergeflogenen Wörter («suite» = «mehrere»). Dialekte sind wie Staubsauger, sie nehmen alles auf, was sie brauchen können. «Dein Vater ist ein Schwitier!» Ich erinnere mich, das Wort fiel öfter in meiner Kindheit. Meine Mutter muss wahnsinnig unter Druck gestanden haben – evangelisch, betrogene Ehefrau, und das zweite Kind auch nicht «ganz in Ordnung». Peter brüllte oft das ganze Haus zusammen, angeblich hatte er Rachitis. «Der hat einen zu großen Kopf», tuschelten die Tanten und die Nachbarinnen. «Ausgerechnet der Stammhalter. Und das Mädle sieht nix.»
    Mit mir war es wirklich nicht leicht. Mittags trödelte ich am Tisch; statt zu essen, spielte ich mit dem Kartoffelbrei. Wir hatten so hübsche gelbe Teller mit einem schwarzen Huhn in der Mitte. Es war eine Wonne, dieses Huhn mit dem Brei weiß zu machen und dann den Brei wegzuessen, bis nur noch das weiße Huhn in der Mitte übrig blieb.
    «Mach doch zu!», sagte Mutter.
    «Nein, ich will erst noch das Huhn fertigspielen.»
    Mit Eselsgeduld hab ich um die dünnen Beine herum gegessen. Die anderen waren längst fertig mit Essen, und ich hab immer noch gespielt. Trödeln nannten es die anderen, «du trödelst mal wieder». Wenn ich es gar zu toll getrieben habe, wurden die Stimmen um mich herum nervös, irgendwie spitzig. Noch ehe der mahnende Satz fiel, spürte ich den Ärger, der anrollte.
    «Warum hockst du so lange in der Badewanne?»
    «Weil ich richtig sauber sein möchte.»
    Ich wollte bei meinen Seifenblasenfenstern nicht gestört werden. Eines Tages beim Baden hatte ich dieses Spiel erfunden: Man wäscht eifrig die Hände, bis genügend Schaum da ist, und formt sie so, dass zwischen Zeigefingern und Daumen der größtmögliche Zwischenraum entsteht. Und hat eine wunderbare Regenbogenscheibe, das ganze Spektrum von Großvaters Farben, alle sind sie da, in dem kleinen Fenster. Jetzt nur nicht wackeln, erst muss ich bis zehn gezählt haben, vorher darf es nicht zerplatzen. Bis vor nicht allzu langer Zeit habe ich so in der Wanne gespielt, diese Technik vergisst man nicht. Vor sechs oder sieben Jahren konnte ich noch ein ganz klein wenig von dieser zarten, farbigen Insel zwischen meinen Fingern schillern sehen.

[zur Inhaltsübersicht]
    Februar
    Dieses Jahr ist die Amsel früh. Wir hatten Jahre, da sang sie erst im März. Voller Ungeduld lausche ich in den Morgen, meistens bin ich schon wach, bevor sie loslegt. Lieder mit vielen, vielen Strophen, unterbrochen von rauem Gezwitscher. «E-i-i-i, wi-wi, e-e-e», die richtigen Vokale dafür zu finden ist eigentlich unmöglich, fürs «Amselisch» wäre Notenschrift geeigneter. Ein Franzose soll mal probiert haben, den Gesang der Vögel aufzuzeichnen, Olivier Messiaen, ein Ornithologe und Komponist. Es heißt, er hätte mit Stift und Notenblatt hinterm Busch gesessen.
    Eine ganze Handlung wird im Amsellied ausgebreitet. Es war einmal ein schönes Mädchen, das wollte nach Indien, und das hat mich ver-la-ha-has-sen. Mit Hilfe solcher Blödsinns-Sätze versuche ich, mir die Melodie einzuprägen. Ist es derselbe Vogel, der schon letztes Jahr oben im Apfelbaum saß? Konrad meint auch, es ist der Amselmann mit der weißen Schwungfeder, der schon lange in unserem Garten sein Brutrevier hat. Jeder singt ein wenig anders, und die Alten beherrschen die Kunst am besten. Der Mensch hält es für eine süße Romanze, eigentlich ist es ein Kampfgesang: Rivalen! Wer sich mir nähert, der wird in der Luft zerrissen!
    Amseltirilieren und der Gestank von Dung, jedes auf seine Weise durchdringend und unverschämt, das ist der Frühling im Markgräflerland. Konrad hat von seinem Freund Edmund drei Schubkarren Kuhmist abgeholt und auf dem Kartoffelacker und dem Gemüsestück ausgestreut, der Boden ist jetzt hinreichend aufgetaut.
    Gestern hat er die Tomatensamen in die Erde gebracht. «Hundertfünfzig!», verkündete er stolz, noch halb auf der Speichertreppe. Die Pflanzschalen da
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