Magazine of Fantasy and Science Fiction 10 - Wanderer durch Zeit und Raum
Zeichen?«
»Das sind die Dinge, die unsere Kinder einmal wissen müssen. Wie Zelte hergestellt werden. Wie man das Essen zubereitet. Wie man Wild erlegt. Alles eben.«
Kinder ...?
Das war es, was ich bisher vermißt hatte! »Ich habe noch keine Kinder gesehen.«
»Sie sind noch nicht da.«
»Sie sind noch nicht ...? Es gibt keine Kinder?«
»Wie sollte es sie schon geben?«
Ihre Frage war keine Frage, sondern eine glatte Feststellung.
Grectchra hatte es offensichtlich gern, wenn ich Fragen stellte, aber sie konnte nicht alle beantworten. Die meisten meiner Fragen hatten keine Bedeutung für sie. Sie verstand sie einfach nicht.
»Gibt es eigentlich keine alten Leute?« fragte ich sie eines Tages, als mir endlich klargeworden war, daß alle Eingeborenen gleich alt zu sein schienen. Es war mir nicht sofort aufgefallen, aber dann hatte mich die Erkenntnis wie ein Schock getroffen. Sie standen alle im gleichen Alter!
Natürlich konnte es auch sein, daß das Alter keine Spuren in ihrem Gesicht hinterließ, aber es hatte ja auch niemals Beerdigungen gegeben. Nur einmal war jemand gestorben, ein Jäger. Ein wildes Tier hatte ihn angegriffen und verletzt. Man begrub ihn ohne viel Federlesens außerhalb des Dorfes im Sand.
Grectchra schwieg. Sie hatte meine Frage nicht verstanden.
»Wo lebt deine Mutter?« stellte ich die Frage anders. »Die Frau, die dir das Leben gab.«
»Das weiß ich nicht.«
Niemand im Dorf, erfuhr ich später, kannte seine Mutter.
Vormittags machten wir die Runde durch das Dorf und besuchten auch die Töpfer. Einer hatte seinen Stein auf der Außenseite geformt und glattpoliert. Er hatte Wochen dazu benötigt. Nun begann er, die Innenseite auszuhöhlen. Er tat es mit einem anderen Stein, und jeden Tag wurde die Höhlung einige Millimeter tiefer. Jeden Tag zeigte er uns den Topf, damit wir ihn begutachten konnten.
»Gute Arbeit«, sagte Grectchra jeden Tag.
Wir gehörten zur herrschenden Kaste, das hatte ich inzwischen herausgefunden. Eine Kaste, die völlig unnötig schien, denn niemals hatte Grectchra etwas anderes als »Gute Arbeit« sagen müssen. Die Funktion der herrschenden Kaste bestand darin, die Arbeit der anderen anzuerkennen. Ob sich der Töpfer darüber freute oder nicht, fand ich nie heraus. Es schien ihm auch gleich zu sein, was man von seiner Arbeit hielt.
Zwei Dinge geschahen dann im Laufe der Zeit, die von einem normalen Menschen kaum verstanden werden dürften. Erinnern Sie sich, daß ich so gut wie nackt und neugeboren auf dieser Welt ankam, nur mit meinen Erinnerungen beladen, die allmählich verschwammen. Jahre, die nicht zählten, war ich im Tiefschlaf unterwegs gewesen. Ich hatte nicht einmal einen Spiegel mitbringen können, der mich daran erinnert hätte, daß ich ein Terraner war.
Es war daher kein Wunder, daß ich praktisch ein Eingeborener von Algol II wurde. Ich studierte nicht nur ihre Kultur, sondern wurde ein Teil von ihr.
Und dann verliebte ich mich in Grectchra.
Die Zeit verging, aber für mich hatte die Zeit ihre Bedeutung verloren. So etwas wie Zeit schien bei diesem Volk nicht zu existieren.
Eines Nachts hatte ich einen sehr lebhaften Traum.
Ich träumte von der Erde. Ich saß in meiner Wohnung, zusammen mit Jack und Vivim Stall, meinen Freunden. Die Luft roch nach Hund, Tabak und Whisky. Jack fragte: »Wie lange wirst du unterwegs sein?« Und dann, als ich gerade antworten wollte, durchzuckte mich ein Schlag. Ich erwachte und fuhr auf. Mit klopfendem Herzen saß ich im Bett. Es war stockfinster, denn die beiden Monde waren längst untergegangen. Im ersten Augenblick glaubte ich, erblindet zu sein. Neben mir hörte ich Grectchras regelmäßige Atemzüge. Ich begriff.
Halbzeit!
Es war das Warnsignal, natürlich. Mir war keine Möglichkeit gegeben, das Vergehen der Zeit nach irdischen Begriffen auch nur abzuschätzen. Mein Leben lang hatte ich die Uhr gekannt, aber auf Algol II gab es keine Uhren. Sie hätten mir auch nichts genützt. Tief in meinem Unterbewußtsein war daher durch Posthypnose das Zeichen für die Halbzeit eingepflanzt worden. Es würde mich warnen, wenn zweieinhalb Jahre vergangen waren. Nach fünf Jahren kam das zweite Zeichen. Dann hatte ich einen Tag Zeit, in mein kleines Raumschiff zu steigen.
Halbzeit! Ich begriff, wie sehr ich einer der Eingeborenen von Algol II geworden war. Ich war kein Terraner mehr. Richtige Forschungen hatte ich kaum betrieben. Ich hatte gelebt das war alles. Gelebt wie Grectchra und die
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