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Maeve

Maeve

Titel: Maeve
Autoren: Jo Clayton
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Sang ihr zu. Lachend und weinend zugleich, spritzte sie sich das Wasser ins Gesicht, beugte sich dann tiefer und trank. Es schnitt durch den Dunstschleier des Erinnerns, so daß sie sich wieder bewußt wurde, weshalb sie hier war Sie sprang auf und ging weiter.
    Der Klang der leierartigen Barbat ließ sie anhalten; ihr Herz hämmerte hoch in ihrer Kehle. Sie erinnerte sich sogar an die Melodie. O Gott, dachte sie, wie oft habe ich ihn das spielen hören? Wie oft …
    Einsamkeit war ein schmerzender, pulsierender Schmerz, der durch ihren Körper strömte. Ihre Knochen erbebten darunter Bebten in einem marktiefen Gefühl des Verlustes. Des Verlust der Wurzeln. Des Verlusts der Heimat. Der Familie. Der Kultur Des Geliebten. Des Kindes. Sie stand da, die Füße in fremden Stiefeln, der Körper in zu enge fremde Kleider gehüllt. Sie schaute an sich hinunter. Selbst die Haut schien verändert zu sein. Sie war zurückgekommen, wußte zuviel, hatte zu viel erlebt und der Verlust war … unermeßlich.
    Die Barbat sang. Die Musik wechselte in ein sanftes Rieseln ein Klang, der fast mit dem Lied des Flusses verschmolz. Aleytys straffte den Rücken und ging weiter. Bedauern war sinnlos. Sie konnte die Dinge, die sie gesehen und getan hatte, nicht ungeschehen machen. Sie konnte sich nicht wieder in die Form des unwissenden Eingeborenenmädchens, das vor einer Hexenverbrennung floh, zurückpressen.
    Sie folgte dem Klang und sah Vajd am Fluß auf einer im Kreis um den Stamm eines alten Horan gebauten Bank sitzen. Als sie ihm zusah, wie seine Finger über die Saiten huschten, um dem Instrument das Lied zu entlocken, fühlte sie eine benebelnde Woge von Verlangen, das sich nach einer kleinen Weile zu einer tiefen Zuneigung dämpfte. Er ist älter, dachte sie, lachte dann innerlich über ihre Dummheit. Sein Bild hatte sich in ihrer Erinnerung nicht verändert, und irgendwie hatte sie erwartet, ihn ebenfalls unverändert vorzufinden. Es gab eine Menge mehr Weiß in seinem weichen, ungezähmten Haar, und sein Gesicht war rings um die Augen stark vernarbt. Sie empfand wieder eine furchtbare Schuld. Geblendet. Ihretwegen. Sie sog einen unregelmäßigen Atemzug ein.
    Er hörte sie. „Wer ist da?“ Das blinde Gesicht ruckte herum, versuchte, die Quelle des Geräusches auszumachen.
    „Ich“, sagte sie sanft. „Wie geht es dir, Vajd?“
    „Aleytys.“
    „Ich habe mich gefragt, ob du dich an mich erinnern würdest.“
    „Ich habe dich erwartet.“
    Sie ließ sich neben ihm auf der Bank nieder, kämpfte darum, die Kontrolle über ihre sich überschlagenden Empfindungen zurückzugewinnen. „Ich habe dein Träumen vergessen.“
    „Du hast eine Menge vergessen. Ich habe das ganze vergangene Dreifachjahr auf dich gewartet.“
    Sie griff beidseits der Knie hinunter, schloß die Finger fest um die Kante der Sitzfläche. „Dann hat ihn Stavver hierhergebracht.“
    „Meinen Sohn.“ Ein kalter Ton in Vajds Stimme riß ihren Kopf hoch, und sie starrte in sein Gesicht, wobei sie einen unterdrückten Zorn in ihm spürte – und einen unerbittlichen Widerwillen. „Du hast ihn im Stich gelassen.“
    „Du verstehst nicht.“ Entsetzt strich sie sich über das Gesicht. „Hat Stavver dir nicht erzählt, was passiert ist?“
    „Er kam eines Nachts – spät. Ich konnte nicht schlafen; der Gestank der Erwartung hielt mich unruhig. Er fragte nach meinem Namen, und als ich ihn nannte, legte er den Jungen neben mir nieder, nahm meine Hand und legte sie auf ihn. Der Junge schreckte zurück, fing an zu weinen – nicht das Brüllen aus vollem Hals, wie das ein wütender Junge tut, sondern ein zurückweichendes Jammern, wie das eines verletzten Tieres. Er sagte: ‚Dies ist dein Sohn.’ Er sagte, daß ihn ein verdammtes Hexenweib namens Aleytys gezwungen habe, den Jungen aufzustöbern und ihn zu mir zu bringen. Er sagte, daß er mit dir fertig sei, und mit mir und der ganzen verdammten Sippschaft. Und dann ging er.“ Vajd wandte ihr sein vernarbtes, anklagendes Gesicht zu. „Hat er gelogen?“
    „Nein. Aber da war … Er hat alles ausgelassen. Vajd, ich habe mein Baby nicht im Stich gelassen. Madar! Ich hätte das nie tun können. Nein. Es wurde mir von einer irren Frau gestohlen. Und diese Frau hat mich an Sklavenhändler verkauft. Ich konnte sie nicht verfolgen, Vajd. Es gab keine Möglichkeit, wie ich sie hätte verfolgen können. Deshalb habe ich ihn auf die Fährte gesetzt und ließ ihn gehen. Ich … man … man konnte nicht sagen, wo ich
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