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Märchen von den Hügeln

Titel: Märchen von den Hügeln
Autoren: Waltraut Lewin & Miriam Magraf
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Drächin heraus, glitzernd, als sei sie dem Grünen Gewölbe entsprungen.
    »Hat Ihnen Exzellenz das nicht gesagt?« fragte sie verwundert. »Mit der Dichte nimmt natürlich auch die Temperatur zu.«
    »Exzellenz hat mir, scheint’s, manches nicht gesagt«, murmelte Klinger grimmig und lag noch immer, Hände und Füße von sich gestreckt. »Wie zum Beispiel soll ich dich im Koffer transportieren, ohne angesengte Oberhemden zu bekommen?«
    »Ein Stückchen Asbest wird sich doch noch auftreiben lassen?« entgegnete Donna ungerührt. Sie war gerade dabei, sich zu ihrer natürlichen Größe zurückzumausern.
    Klingers Einwände versiegten nicht. »Und mein Gepäck wird beim Fliegen Übergewicht haben mit dir, du Tierchen? Es ist durch und durch zum Verzweifeln.«
    »Es tut mir leid, wenn ich Ihnen Ungelegenheiten mache«, lispelte Donna betrübt. »Ich muß Ihnen gestehen, daß mir Fliegen ausgesprochen schlecht bekommt. Ich speie manchmal hinterher stundenlang unkontrolliert Feuer.«
    Klinger sah sie mit stiller Trauer an. Er wagte gar nicht erst zu fragen, ob sie unter solchen Umständen nicht lieber zu Haus bleiben wollte. Sie hätte nur strengen Blicks auf den Kontrakt verwiesen, dessen Bedingungen auf einigen Gebieten ja hinlänglich gelockert waren.
    Nachdem sich die beiden von ihrem ersten gemeinsamen Abenteuer etwas erholt hatten, erbot sich das diensteifrige Drachenweibchen, seine Künste im Klavierspiel zu produzieren.
    »Nur zu«, bemerkte der Sänger. »Ich bin um einen Begleiter oft recht verlegen; wenn man einen braucht, ist keiner zur Hand.«
    Von Ehrgeiz gepackt, setzte sich die hübsche Echse an den Flügel, streifte die Ringe von den Fingern und begann gleich mit Rachmaninow. Abgesehen von dem Geklirr, das ihr Stacheldaumen auf den Tasten hervorrief, legte sie eine beträchtliche Virtuosität an den Tag.
    Aber ach, mit Virtuosität war es bei den empfindlichen Sinnen des Elben nicht getan, und im Gegensatz zum Autofahren verstand er keinen Spaß, wenn es um Musik ging. So hielt er sich schon nach kurzer Zeit die Ohren zu, und ihm entfuhr der unwillige Ausruf: »Hör auf, Donna, um Gottes willen! Du ißt Gehacktes, und du spielst Gehacktes!«
    Das war zuviel für Donna. Sie klappte den Deckel des Instruments zu, legte die Pfötchen über die Augen und begann zu heulen. Klinger waren Weinende ein Greuel, vor allem, wenn sie weiblichen Geschlechts waren. Erschrocken versuchte er, das jämmerlich schluchzende Reptil zu beruhigen, redete ihm gut zu und kraulte seinen sanften bräunlichen Bauch. Binnen kurzem begann Donna zu gähnen, sich zu recken, schließlich streckte sie sich auf dem Rasen des Zimmers aus und war eingeschlafen, eh man sich’s versah.
    Sieh da! dachte Klinger. Man kann sie also in Schlaf krabbeln. Und wenn sie schläft, schläft sie. Oder? Zur Probe sang er ein paar Töne in seinem tragenden Forte. Die Drächin zuckte nicht mit der Wimper. »Erfreulich«, murmelte er. »Vielleicht läßt sich diese Art der Bewachung doch ertragen, wenn man sich arrangiert.« Sprach’s und enteilte.

»Ihr schönen Augen ...«
    Der Elb lief, als seien seine Füße beschwingt, zu der Stelle, wo er sich mit Leontine zu treffen pflegte; ein Grasflecken unterhalb des dunklen Waldes, nah dem Strom, bei einer großen Weide. Wie seinen Vorfahren war es ihm liebe Angewohnheit, auf Bäumen zu ruhen. Er konnte, leicht hingelehnt an den Stamm, die Beine und Arme in den Ästen, wie ein Vogel schaukelnd, stundenlang in der Baumkrone hocken, den Blick auf den Lauf des Wassers gerichtet, träumen und vor sich hin summen, wohl auch schlafen auf eine helle, dem Wachen so verwandte Art, daß er hinterher nicht wußte, ob die Träume erlebt waren oder nicht.
    Sein Wunsch, Leontine hier vorzufinden, war so heftig gewesen, daß er völlig vergessen hatte: das Mädchen saß zu dieser Stunde über ihren Büchern oder Papieren. Bis zu Tränen enttäuscht über die leere Wiese, ließ er sich am Weidenstamm ins Gras gleiten und heftete die ganze Kraft seines Wünschens darauf, daß die Geliebte käme. Das war zwar hinreichend, das Mädchen zu verwirren und unruhig zu machen, aber es löste sie nicht aus den Pflichten.
    Indessen lockte seine Sehnsucht allerlei Getier herbei, das dem Zauber des Wunsches gehorchte wie einem Befehl, der vor undenklichen Zeiten erteilt worden war. Schmetterlinge setzten sich ihm auf Schultern und Haar, Stare und Stieglitze versammelten sich über ihm im Baum und begannen ein unruhig-präludierendes
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