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Madame Lotti

Madame Lotti

Titel: Madame Lotti
Autoren: G Arx
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niemanden, oder?»
    «Yusuf?», frage ich, «Yusuf erinnert sich noch an mich?» Yusufs Mutter, Maryam, starb am dritten Tag meines ersten Aufenthaltes. Danach kam er zu seinen Grosseltern. Als ich im November wiederkam, sah ich ihn kurz, als sie bei Lotti vorbeischauten und sie darum baten, Yusuf doch bei ihr aufzunehmen. Offenbar ging Lotti auf ihre Bitte ein. Die Tatsache, dass der hübsche, klein gewachsene Junge heute aufbleiben wollte, um mich zu begrüssen, rührt mich, und ich lasse es mir nicht nehmen, vor dem Nachtmarkt schnell bei ihm vorbeizuschauen. Wir fahren zum Sterbespital, finden alle schlafend vor. Lotti führt mich an Yusufs Bett, ich streichle ihm über die Haare, flüstere: «Ich bin da», und bekomme ein verschlafenes Lächeln zurück. Ich decke ihn zu, gehe zu Lotti, die inzwischen bei Monsieur Konaté, der Nachtwache, in der Apotheke steht. Er begrüsst mich mit «Bonne arrivée» und einer Umarmung.
    Wir steigen wieder ins Auto und fahren zum Nachtmarkt, der sich neben der Hauptstrasse befindet. Die Luft ist lau, der Nachtmarkt zu so später Stunde nur noch spärlich frequentiert. Ein paar Stände, die Poulets anbieten, sind noch geöffnet, die meisten aber haben Schluss gemacht für heute. Lotti bestellt ein Poulet braisé, dann gehen wir Richtung «Restaurant», das aus klapprigen Holztischen und noch klapprigeren Holzstühlen besteht, bestellen ein «Flag», ein afrikanisches Bier, und ein Tonicwasser und füllen unsere Gläser je zur Hälfte damit.
    Die Nacht ist schwarz, wird nur teilweise von schwachen Glühbirnen und den paar noch brennenden Feuern erhellt, deren Funken die Finsternis rot sprenkeln, wenn Luft dazugefächert wird. Es stinkt. Fürchterlich. Nach Abfallhalde? Das war noch nie so!
    «Die Müllmänner streiken seit einer Woche», erklärt Lotti, «sei froh, dass du die Abfallberge in der Dunkelheit nicht siehst. Guten Appetit!»
    Soeben wird uns das Poulet braisé serviert, Pouletstücke, die auf einem durchlöcherten Blech über dem offenen Feuer geröstet, dann mit Öl, Chilischoten und Zwiebeln gewürzt und mit Tomatenscheiben garniert wurden. Der delikate Duft vertreibt den beissenden Gestank. Ich tauche meine Finger in die rostige Konservendose, die mit Wasser gefüllt ist und als Tischbowle dient. Dann tue ich mich an dem gütlich, was mir bei der blossen Erinnerung jedes Mal das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Das Bier ist frisch und kalt und wunderbar. Nach dem zweiten, das wir wiederum mit Tonicwasser verdünnen, weiss ich, dass ich schlafen werde wie ein Murmeltier, und dies trotz der leisen Ahnung, dass die kaltblütig ermordete Kakerlake in meinem Zimmer einen Kumpel haben könnte, der auf Rache sinnt.

Sonntag, 7. März
    Dank der Zeitverschiebung von einer Stunde – in der Schweiz ist es schon sieben – bin ich bereits hellwach, als Lotti um sechs Uhr an meine Türe klopft:
    «Ich habe gestern vergessen zu sagen, dass das Wasser knapp ist. Falls du duschen willst, hast du jetzt noch höchstens fünf Minuten Zeit. Wir treffen uns in einer Stunde am Kiosk zum Frühstück, tschüss.»
    In fünf Minuten kein Wasser mehr? Aufgestanden, ins Badezimmer gehetzt, Wasserhahn aufgedreht – es gibt nur einen mit kaltem Wasser –, unter die Brause gestanden! Als ich von oben bis unten eingeseift bin, erkenne ich, dass alles Hetzen nichts nützte. Das eben noch strömende Nass wird zu einem Rinnsal, unter welchem ich gerade noch einigermassen seifenfrei werde. Den Rest des Schaums tupfe ich mit dem Tuch ab. Afrika.
    Ich packe die Reisetasche aus, richte mich ein, gebe meinem Verlangen, unters Bett und in die Ecken zu schauen, um Ungetier auszumachen, wohlweislich nicht nach. Schalte die Klimaanlage, den einzigen Luxus, den Lotti sich gönnt, aus und steige die Treppe hinunter in den Hof des Ambulatoriums. Ouattara steht, obwohl es Sonntag ist, schon da. Im Arm Aziz, seinen vierzehn Monate alten Sohn, den er nach Lottis Mann getauft hat und der an Grösse zugelegt hat. Wie immer trägt er auch heute keine Windeln, sondern nichts als eine Schnur um seinen nackten Unterleib. Der Kleine versteckt sich hinter Ouattaras Hals, als ich ihm zulächle.
    «So scheu? Seit wann?»
    Ouattara erklärt: «Es gab einen Verrückten im Quartier, der die Kinder gepackt und dann verschleppt hat. Mein Sohn ist nur dank meiner Aufmerksamkeit und meiner Fähigkeit, einen Sprint hinzulegen, mit dem Schrecken davongekommen. Seit diesem Erlebnis lässt er nur noch seine Mutter und mich an
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