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Madam Wilkin's Palazzo

Madam Wilkin's Palazzo

Titel: Madam Wilkin's Palazzo
Autoren: Charlotte MacLeod
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etwas Besonderes.
    Die Kellings, die zu den reichsten und
am weitesten verzweigten Familien Bostons zählten, waren im Jahre 1911 in
Scharen zur Eröffnung erschienen. Bei diesem denkwürdigen historischen Ereignis
hatte eine damalige Mrs. Alexander Kelling mit dem den Kellings eigenen Takt-
und Feingefühl die Bemerkung fallenlassen, daß der Palast eigentlich weniger
wie ein italienischer Palazzo, sondern eher wie ein babylonisches Bordell
aussehe. Ein anderer Spaßvogel hatte daraufhin Mrs. Wilkins als die »Madam« des
Etablissements bezeichnet, und von diesem Augenblick an hatte Mrs. Wilkins
ihren Namen weg. Eugenia Callista hatte jedoch das Beste aus diesem schlechten
Scherz zu machen gewußt und prompt auf ihre Visitenkarten »Madam Wilkins«
drucken lassen, jedoch niemals mehr eine dieser Karten in einem Kelling-Haus
präsentiert.
    Selbst nachdem sie gestorben war und
ihren Palast der Stadt als Museum hinterlassen hatte, waren die Kellings dem
Anwesen der Madam ferngeblieben. Daher betrachtete Sarah jetzt mit dem
angenehmen Gefühl, das der Genuß verbotener Früchte mit sich zu bringen pflegt,
einen sich mausernden Pfau im Innenhof. Aus unerfindlichen Gründen war der Hof
gerade völlig leer, wenn man von den Vögeln, den Fischen im Seerosenteich und
einem gelangweilt aussehenden Wächter, der an einen der Pfeiler gelehnt stand,
einmal absah. Das Stimmengewirr aus dem Tintoretto-Saal klang wohltuend weit
entfernt. Die Strahlen der frühen Aprilsonne fielen durch die riesigen
Oberlichte. Sarah blinzelte und gähnte.
    Bittersohn lächelte ihr zu. »Müde, Mrs.
Kelling?«
    Sie siezten sich immer noch, wie es
sich für eine Dame, die gerade fünf Monate verwitwet war, und für einen
Gentleman, der erst seit Januar in ihrer Pension wohnte, gehörte, doch
irgendwie hatte Mr. Bittersohn inzwischen eine Art, sie mit »Mrs. Kelling«
anzureden, die Sarah jedesmal bewußt machte, daß sie eigentlich unverheiratet
war. Außerdem schien er sehr viele Freikarten für Konzerte und
Theaterveranstaltungen zu bekommen, von denen er annahm, daß sie vielleicht
Lust hätte, ihn dorthin zu begleiten. Natürlich nur, wenn sie auch nichts
anderes vorhatte, was rein zufällig tatsächlich nie der Fall war. Es machte ihr
außerdem großen Spaß, endlich wieder auszugehen, nachdem sie mit einem Ehemann,
der doppelt so alt wie sie gewesen war, ein derart zurückgezogenes Leben
geführt hatte. Alexander wäre zudem der letzte gewesen, der ihr geraten hätte,
eine Freikarte verfallen zu lassen. Also lächelte sie zurück, obwohl es
eigentlich kein besonders gutes Konzert gewesen war.
    »Das kommt wahrscheinlich von der
warmen Sonne und dem Duft der Blumen. Es ist aber auch wirklich wunderschön
hier, finde ich. Allerdings frage ich mich, warum Madam offensichtlich der
Ansicht war, es sei kultivierter, derartig harte Stühle in den Musik — mein
Gott, sehen Sie bloß!«
    Plötzlich stürzte etwas Großes, Dunkles
an ihnen vorbei in die Tiefe und schlug zwei Stockwerke tiefer dumpf in die
rosa- und lilafarbenen Hyazinthen. Ein Pfau und ein Wächter schrien
gleichzeitig. Bittersohn war bereits die Marmortreppe hinuntergerannt, bevor
das Echo verklungen war.
    Sarah eilte ihm nach, so schnell es
ihre hohen Absätze und ihr enger Rock erlaubten. Jetzt konnte sie das
zusammengekrümmte Etwas im Garten liegen sehen. Es handelte sich um ein
Mitglied der Palastwache, dessen grüne Uniform merkwürdig gut mit den grünen
Blättern im Blumenbeet harmonierte. Der Wächter im Hof geriet ins Schwitzen;
völlig außer sich versuchte er verzweifelt, ganz allein die Menschenmenge
abzuwehren, die im Handumdrehen dort aufgetaucht war, wo sich noch kurz zuvor
niemand aufgehalten hatte.
    »Treten Sie bitte zurück!« rief er.
»Mein Herr, Sie können doch nicht so einfach — «
    »Ich bin Doktor Bittersohn«, stellte
sich Sarahs Begleiter vor. Er war zwar Doktor der Kunstgeschichte, doch der
Trick verfehlte seine Wirkung nicht. Die Neugierigen traten zurück, und der
Wächter atmete erleichtert auf. Bittersohn beugte sich über den leblosen
Körper.
    »Schädelfraktur und gebrochenes
Genick«, verkündete er. »Wer ist der Mann, kennen Sie ihn?«
    »Sicher.« Der noch lebende Wächter
befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge. »Ich kann ihn an seiner abgetragenen
Uniform erkennen. Das ist Joe Witherspoon, der älteste Angestellte hier. Der
war schon hier, als Curley noch Bürgermeister war.«
    »Wieso ist er denn dann nicht vom
Balkongeländer
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