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Machtlos

Machtlos

Titel: Machtlos
Autoren: Alex Berg
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wissen Sie vermutlich bereits, sonst wäre ich ja nicht hier, oder?« Ihr entging nicht das kurze Aufglimmen in den kalten Augen von Mayers schweigsamem Kollegen bei diesen Worten.
    »Erzählen Sie uns von al-Almawis Familie«, forderte Mayer sie auf.
    Valerie blickte auf das Aufnahmegerät. Die Spulen rauschten leise.
    »Ich möchte mit einem Anwalt sprechen«, sagte sie.
    Mayer drückte die Stopptaste. »Sie werden hier lediglich als Zeugin befragt. Dafür benötigen Sie keinen Anwalt.«
    Valerie lehnte sich vor und sah Mayer fest in die Augen. »Als Zeugin hätten Sie mich zu einem Vernehmungstermin vorladen können. Stattdessen nehmen Sie mich fest und behandeln mich erkennungsdienstlich wie eine potentielle Verdächtige. Kein weiteres Wort ohne meinen Anwalt.«
    Mayers grauhaariger Kollege schob Noors Bild zurück in den Ordner und schloss denselben mit Nachdruck. »Wie Sie wollen«, erwiderte er, und seine Stimme war so kalt wie der Blick seiner Augen. »Wir kommen morgen wieder, dann haben Sie es sich vielleicht überlegt.« Sein kaum merkbarer amerikanischer Akzent ließ sie aufhorchen. Wer war dieser Mann? Er trat selbstbewusst neben Mayer auf, sie arbeiteten Hand in Hand. Das ließ nur einen Schluss zu. Einen Schluss, der einen ungewollten Schauer über Valeries Rücken jagte.
     
    Sie wurde in eine Zelle im Keller des Gebäudes gebracht. Durch ein vergittertes Fenster fiel trübes Licht. Valerie blieb in der Tür stehen und starrte fassungslos auf die schmale Pritsche, die nackte Toilettenschüssel und die hellgelben Wände.
    »Das ist nicht Ihr Ernst«, wandte sie sich zu dem Beamten um, der sie nach unten begleitet hatte.
    »Bitte machen Sie keine Schwierigkeiten.«
    »Schwierigkeiten? Ich …?«
    Die Tür fiel ins Schloss. Schritte entfernten sich, und eine Stille umfing sie, in der ihr das Geräusch ihres eigenen Atems unnatürlich laut erschien. Der Adrenalinpegel in ihrem Blut sackte ab. Ein Zittern durchlief ihren Körper, und ein dicker Kloß in ihrer Kehle machte das Schlucken schwer. Tränen rollten über ihre Wangen. Valerie konnte plötzlich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Alles wirbelte durcheinander. Bilder von Noor, Marc, den Geschehnissen der letzten Stunden.
    Eine Polizistin brachte ihr etwas zu essen und zu trinken. Danach sah und hörte sie niemanden mehr. Valerie starrte auf das Tablett auf dem Boden neben der Pritsche, auf eine Plastikflasche mit Mineralwasser und zwei eingepackte Sandwiches, ohne sie wirklich zu sehen. Vor ihrem inneren Auge tauchte die Fotografie von Noor auf, die Mayer ihr gezeigt hatte. Jede Einzelheit des Bildes hatte sich ihr eingebrannt, scharf und unauslöschlich. Valerie spürte erneut das Herzklopfen, das der Anblick in ihr ausgelöst hatte. Die plötzliche Angst. Sie hatte ihren Gefühlen keinen Raum gegeben in der Gegenwart der beiden Männer. Doch jetzt, wo sie allein und unbeobachtet war, konnte sie sich ihnen nicht mehr entziehen, und die Sorge um ihre Freundin ließ sie alles andere vergessen.
    Seit zwei Wochen war Noor al-Almawi spurlos verschwunden. Niemand hatte etwas von ihr gehört. Niemand hatte sie gesehen. Noor war wie vom Erdboden verschluckt. Und dann legten sie ihr
hier
eine Fotografie von ihr vor. Valeries Gehirn arbeitete fieberhaft.
    Mayer war vom BND . Wen repräsentierte der Amerikaner? Die CIA ? Es konnte nur eine Erklärung geben, warum sie festgehalten wurde. Warum Geheimdienstler sie nach Noor fragten. Nur eine einzige, verdammte Erklärung. Valerie wurde übel. Sie hatten Noor auf einer ihrer Terrorlisten und bereits in Gewahrsam. Irgendwo. Der Schweiß brach ihr aus. Valerie stand auf, machte drei Schritte und lehnte die Stirn gegen den kalten Stein der Wand, um wieder zu sich zu kommen. Aber es half nichts. Die Beklemmung wollte nicht weichen, umfing sie, hielt sie, nahm ihr den Atem. Durch das Gitter kroch die Dunkelheit herein, in ihrem Gefolge Schatten, die sich drohend in den Ecken auftürmten. Valerie ließ sich auf die Pritsche sinken, wickelte sich gegen die plötzliche Kälte, die sie empfand, in die Decke und weinte sich in einen kurzen Schlaf der Erschöpfung. Als sie wieder aufwachte, wusste sie zuerst nicht, wo sie war, dann traf sie die Erkenntnis wie eine Ohrfeige. Sie konnte nicht wieder einschlafen.
     
    Valerie lag noch immer auf der Pritsche und starrte in die Dunkelheit, als sich ein Schlüssel im Schloss ihrer Zellentür drehte. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war, und das Licht, das durch den
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