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Macht Vakuum

Macht Vakuum

Titel: Macht Vakuum
Autoren: Ian Bremmer
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politische und wirtschaftliche Stärke, um den Status quo neu zu gestalten. Keiner sitzt am Steuer.
Amerika und der Preis der Führung
    Amerika war keineswegs die erste moderne Nation, die ihre globale Macht dafür einsetzte, den Weltfrieden aufrechtzuerhalten und die Handelsfreiheit zu gewährleisten. England (später Großbritannien) war schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine der stärksten Seemächte der Welt und hatte nach der endgültigen Niederlage Napoleons im Jahr 1815 fast ein Jahrhundert lang eine beherrschende Stellung. In dieser ganzen Periode war Großbritannien der wichtigste Lieferant von globalen öffentlichen Gütern, das heißt von Dienstleistungen, die fast jedemnutzen und die niemand bezahlen will. Zum Beispiel half Großbritannien, den Frieden zu sichern, indem es daran arbeitete, ein Kräftegleichgewicht unter den europäischen Großmächten aufrechtzuerhalten. Es förderte eine immer offenere Weltwirtschaft zum Teil dadurch, dass es seine überlegene Seemacht nutzte, um internationale Seestraßen zu schützen. Es ermöglichte, dass Kapitalströme fließen konnten, und erhielt den Goldstandard aufrecht. Das britische Pfund war die wichtigste Reservewährung der Welt.
    Durch den Aufstieg Deutschlands und der Vereinigten Staaten im späten 19. Jahrhundert wurde die britische Vorherrschaft allmählich schwächer, und der Zusammenbruch des europäischen Konzerts der Nationen führte zum Ersten Weltkrieg. Aber erst durch den Zweiten Weltkrieg verlor Großbritannien endgültig die Fähigkeit, die Führung weiter auszuüben. Doch die USA hatten durch die beiden Weltkriege viel weniger Schaden als ihre Feinde und Verbündeten erlitten. Sie waren bereit, willens und fähig, die globale Führung zu übernehmen. Und für die folgenden Jahrzehnte taten sie genau dies.
    Nach dem Ende des Kalten Krieges sah es ganz danach aus, als würden die Vereinigten Staaten noch lange die einzige Supermacht der Welt bleiben. Wie jedoch in den letzten paar Jahren überaus klar geworden ist, sind die USA durch einen wachsenden Schuldenberg belastet. Die immer schwerere finanzielle Last, die das Land zu tragen hat, ist nicht nur ein Produkt der hohen Staatsausgaben der Ära George W. Bush für den Mehrfrontenkrieg gegen den Terror oder der expansionistischen Reaktion der Regierung Obama auf die Finanzkrise der Jahre 2008/9. Das Schuldenproblem der USA, oder wie man mit einigem Recht sagen könnte, ihre Schuldenkrise, ist eine Art Katastrophe in Zeitlupe, die sich im Lauf von Jahrzehnten unter den Augen von Präsidenten und Kongressmehrheiten beider Parteien entwickelt hat. In einer besonders anregenden Untersuchung dieses Gegenstands weist der Wissenschaftler Michael Mandelbaum nach, dass die amerikanischen Abgeordneten nur in fünf der 47 Jahre vor dem Zusammenbruch der Finanzmärkte im Herbst 2008 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt verabschiedeten. Versorgungsprogramme wie Social Security (das amerikanische Altersversorgungssystem), Medicare (Gesundheitsversicherung für Ältere) und Medicaid (Gesundheitsversicherung für die Armen) sind inzwischen so umfangreich, dass sie 40 Prozent des amerikanischen Bundeshaushalts verschlingen.
    Zusätzlich verschärft wird das Problem dadurch, dass ab 2011 die 77 Millionen amerikanischen Babyboomer Renten- und Gesundheitsversorgungsansprüche zu erwerben beginnen. Wenn diese Welle ihren Höhepunkt erreicht, werden die Gesamtkosten fast das Vierfache der gesamten amerikanischen Wirtschaftsleistung von 2010 betragen. 4 Gemeinsam mit den Kosten für Alters- und Gesundheitsversorgung sind die amerikanischen Staatsschulden gestiegen. Binnen einer Generation wird Washington mehr Geld für die Bedienung der amerikanischen Kredite ausgeben müssen als heute für die Verteidigung.
    Um diese Schulden zu finanzieren, leihen sich die Vereinigten Staaten heute etwa 4 Milliarden Dollar pro Tag, davon fast die Hälfte von China. Doch die chinesische Regierung nährt amerikanische Ängste, dass sie bald aufhören könnte, den amerikanischen Konsum zu finanzieren. Ranghohe chinesische Funktionäre bezweifeln öffentlich, dass Kredite für Amerika noch eine solide langfristige Investition sind, und warnen, dass ehrgeizige politische und wirtschaftliche Reformen in China Peking zwingen könnten, mehr von seinem Geld im eigenen Land auszugeben. »Wir haben eine riesige Geldsumme an die USA verliehen«, räumte Wen Jibao 2009 ein. »Natürlich machen wir uns Gedanken über die Sicherheit unserer
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