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Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
Autoren: Katja Kraus
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auch ein verlässlicher Partner. Und die Ergebnisse bestätigten seinen Weg.
    Aber er war oft müde. Auch der Winter, der ihm mit seinen vier Schanzensiegen den Legendenstatus brachte, war einer, in dem die Erschöpfung die Leichtigkeit beschwerte. Hinter den Kameras, die er mit strahlendem Siegerlächeln beglückte, war er belastet vom Druck und, noch schlimmer, fern von dem Gefühl, das ihn ansonsten in guten Tagen für seinen Aufwand und den Verzicht entschädigte: dem kleinen Genuss, auf der Schanze zu stehen und in den vollbesetzten Zuschauerraum zu schauen. »Das Gefühl, auf Wolke Sieben zu schweben, wenn alles von allein geht.« Die Belohnung.
    Dass aus der Erschöpfung eine Burnout-Erkrankung wurde, hat er nicht direkt verstanden. Er hat viele Höhen und Tiefen erlebt und nach jeder schlechten Saison mit sich und dem Weitermachen gehadert. Dennoch sah er irgendwann wieder das grüne Licht. Diesmal blieb es zu lange rot. Er fühlte sich wie unter einem Schleier, der Körper taub. »Alles war wie in Trance, ich habe die Tage erlebt, aber ich habe nicht teilgenommen.« Er ist Vater geworden in dieser Zeit, aber auch das konnte den Schleier nicht lüften. Bis heute kann er kein angemessenes Gefühl dazu entwickeln, gibt es kaum Kontakt zu seinem Sohn. Er beruhigt sich damit, dass es dem Kind gutgeht. Und nennt es sein offenes Kapitel, eine Aufgabe, an sich zu arbeiten und daran, dass es sich vielleicht irgendwann stimmig anfühlt, wenn er sich sagt: »Ich bin Vater«.
    Als die Taubheit im Körper ebenso zum täglichen Begleiter geworden war wie das negative Gefühl beim Training, ging er in die Klinik und ließ sich behandeln. Er bekannte sich zu seiner Krankheit, machte die Therapie öffentlich und empfand erstmal nur Entlastung. Die Bewertung von außen, eine Neudeutung des Heldenbildes nach der offengelegten Schwäche, hat ihn nicht gesorgt. »Ich bin ein normaler Mensch und hatte eine schlechte Zeit. Und wenn ich krank bin, gehe ich zum Arzt wie jeder andere.« Dass sich sein Image dadurch verändert hat, mag er nicht glauben, auch wenn sein Name untrennbar mit dem Thema Burnout verbunden scheint. Darüber, dass seine Offenheit ihn menschlicher, fassbarer und damit noch größer gemacht haben könnte, hat er noch nicht nachgedacht. Er genießt die ungebrochene Sympathie der Menschen, die sein Manager ehrfürchtig eine »einzigartige Hysterie« nennt.
    Dass sein Manager für Sven Hannawald eine ebensolche Bedeutung hat wie er für ihn, wird deutlich, wenn sich beide in sturmerprobter Vertrautheit mit der Aneinanderreihung von Jungswitzen necken. So einsam der Athlet auf der Schanze ist, so augenscheinlich wohl fühlt er sich an diesem Nachmittag, eingebunden in eine Gemeinschaft, die später durch einen weiteren Sportsfreund, einen bekannten Bobfahrer, komplettiert wird. Sven Hannawald ist das Zugpferd, das unterstreicht die geduldige Aufmerksamkeit, mit der die beiden Freunde stundenlang dessen Erinnerungen lauschen. Und die Bereitschaft, mit der sie sich bei ihren wenigen kurzen Wortwechseln von ihm zur Ordnung rufen lassen. Die unsanften Hinweise auf die Störungen sind immer flachsend, aber unmissverständlich im Ton.
    Die Klinik verließ Sven Hannawald mit dem Gefühl, gesund zu sein. Nach und nach verdichtete sich die Sehnsucht nach einer Rückkehr auf die Schanze. Irgendwann spürte er ein »Lächeln auf den Lippen« beim Gedanken daran, wieder zu springen. Während der Behandlung hatte er sich nicht damit beschäftigt, ob es ein Comeback geben würde. In dieser Zeit schien der Sport unendlich fern. Noch ferner war die Frage, was er tun könnte außer Skispringen. Insgeheim liebäugelte er noch damit, Olympiasieger zu werden, dieser Titel fehlt ihm ebenso wie der Gewinn des Gesamtweltcups. Er hatte noch Ziele und er wurde herzlich willkommen geheißen, als er seine Rückkehr in den Weltcupzirkus ankündigte. Doch als er zum ersten Mal wieder zum Training ging, kam unmittelbar das negative Gefühl zurück, der Gang zur Schanze wurde erneut zur Qual.
    Noch an diesem ersten Tag des Comeback-Versuches fiel die Entscheidung, endgültig aufzuhören. Er traf sie allein. Mit wem er zuerst darüber gesprochen hat, wie er das Ende öffentlich machte, an all das kann oder mag er sich nicht mehr erinnern. Die ersten konkreten Gedächtnisfragmente sind die der monströsen Leere, die ihn einnahm, als er realisierte, dass er nun keine Aufgabe mehr hat. Der Verlust einer vertrauten Umgebung, seit er ein kleiner Junge
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